Süddeutsche Zeitung

Integration:Wir schaffen das nicht mehr

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Die vergangenen vier Jahre haben Spuren bei den Asylhelferkreisen im Landkreis Dachau hinterlassen. Viele Ehrenamtliche ziehen sich zurück. Sie fühlen sich ausgelaugt und von den Behörden im Stich gelassen.

Von David Holzapfel, Dachau

Als im Herbst 2015 die ersten Flüchtlinge am Münchener Hauptbahnhof ankommen, steht auch Peter Barth am Bahnsteig, um die Neuankömmlinge willkommen zu heißen. Heute ist er Mitglied des Helferkreises Asyl in Hebertshausen. Die Mitmenschlichkeit, die Barth an diesen Tagen in München erlebt, beeindruckt ihn nachhaltig. "Anfangs waren wir euphorisch", sagt er. Doch diese Euphorie ist inzwischen verflogen.

Statistiken, die Aufschluss darüber geben, wie viele Asylhelfer heute noch im Landkreis tätig sind, gibt es nicht. Ein deutlicher Trend ist dennoch erkennbar: Den Helferkreisen gehen die Ehrenamtlichen aus. In Dachau etwa hätten seit dem Jahr 2015 etwa zwei Drittel der ehrenamtlichen Mitarbeiter aufgehört, sagt Peter Johannsen-Klug, Helfer des Arbeitskreises Asyl Dachau. Auch in Karlsfeld sind von anfangs mehr als 200 Helfern heute nur noch etwa 50 übrig geblieben. In Schwabhausen sieht es nicht besser aus: Von 30 Helfern im Jahr 2015 sind hier nunmehr vier Helfer aktiv. Für die übrig gebliebenen bedeutet das vor allem: mehr Arbeit. Was aber ist der Grund für diesen eklatanten Schwund, der sich durch den gesamten Landkreis Dachau zieht?

"Beruf, Familie und dazu ein Ehrenamt - das schaffen nicht alle"

Anfangs, 2015 also, sei es "hip" gewesen, ehrenamtlicher Asylhelfer zu sein, sagt Johannsen-Klug. Schnell aber hätte viele Helfer der Alltag eingeholt. "Beruf, Familie und dazu ein Ehrenamt - das schaffen nicht alle." Max Eckard macht noch einen weiteren Grund aus: Viele Helfer seien mit falschen Vorstellungen an die Arbeit gegangen, hätten den enormen Aufwand, die mitunter hohe psychische Belastung, unterschätzt. Auch bei denjenigen, die heute noch aktiv sind, hat das Spuren hinterlassen. Viele sind frustriert, fühlen sich ausgelaugt. "Wir sind ein bisschen müde", sagt Peter Barth.

Als der Großteil der Flüchtlinge kommt - es ist der Herbst im Jahr 2015 - entbrennt in Deutschland eine Debatte. Von der Flüchtlingswelle als "unlösbarem Problem" sprechen die einen. "Wir schaffen das" entgegnet Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU). "Wir schaffen das" - das sagen damals auch die Ehrenamtlichen der 15 Helferkreise, die sich im Dachauer Landkreis eilig bildeten, um die Geflüchteten nach ihrer Ankunft zu unterstützen. Schon damals war klar: Einige der Asylbewerber werden bleiben, sie sollen integriert werden. Jetzt, im Jahr 2019, ist das Flüchtlingsthema auch im Landkreis aus dem Fokus der Öffentlichkeit gerückt. Doch die Geflüchteten sind noch immer da - und die ehrenamtlichen Helfer in vielen Punkten frustriert.

Für Barth und seine Mitstreiter folgte nach 2015 schon bald die Erkenntnis, dass die Arbeit als Asylhelfer mit der Zeit nicht leichter, vielmehr komplizierter und belastender wird. "Heute geht es nicht mehr um Kleiderspenden und Lebensmittel", sagt der Asylhelfer. Bürokratie-Berge bei Behördengängen, der Umgang mit psychisch erkrankten Asylbewerbern und ihren mitunter belastenden Schicksalen. Das alles würde viele Helfer überfordern.

Eine Asylhelferin aus Schwabhausen, die aus Angst vor Anfeindungen ungenannt bleiben möchte, sagt: "Jahrelang hilfst du einem Flüchtling dabei, Arbeit zu finden. Schließlich fängt er an sein eigenes Geld zu verdienen, und von heute auf morgen wird ihm die Arbeitserlaubnis entzogen." Für sie seien solche Entscheidungen kaum nachvollziehbar. Einige Helfer im Landkreis beklagen, von Behörden wie dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) mitunter im Stich gelassen zu werden. "Es herrscht wenig Rücksprache mit den Helferkreisen", sagt Eckardt. "Man hat manchmal den Eindruck, unsere Hilfe wird gar nicht gewollt".

Rund 1200 Asylbewerber leben heute im Landkreis Dachau

Rund 1200 Asylbewerber leben heute im Landkreis - und damit weniger als 2015. Neuzuweisungen gäbe es kaum noch. Wer geblieben ist, habe sich größtenteils gut integriert, resümieren die Helferkreise unisono. Viele hätten Arbeit, eine eigene Unterkunft gefunden. Natürlich gäbe es da auch Flüchtlinge, die nach Jahren in Deutschland immer noch kaum Deutsch sprächen, sagt Eckardt. "Aber Stinkstiefel gibt es überall."

Im Oktober 2015, die Zahl an neuankommenden Flüchtlingen erreicht gerade ihren Höhepunkt, leben im Landkreis mehr als 1100 Asylbewerber. Bis Ende des Jahres werden es 1950 sein. Wer anerkannt wird, soll die deutsche Sprache lernen, zur Schule gehen, eine Ausbildung machen oder gleich Arbeit finden, soll im Landkreis leben und wohnen. Eine "Riesenaufgabe", sagt Landrat Stefan Löwl (CSU) damals. Eine Aufgabe, das stellt sich bald heraus, die ohne die Asylhelferkreise nicht zu stemmen ist.

Doch es gibt auch immer wieder Erfolge

Viele Geflüchtete erleben nach ihrer Ankunft in Deutschland einen Kulturschock. Wie die penible deutsche Mülltrennung verständlich machen? Wie einem Geflüchteten, der in seinem Leben noch nie elektrischen Strom hatte, erklären, dass bald eine umfangreiche Strom-Jahresabrechnung auf ihn zukommt? Beispiele wie diese kann Max Eckardt Dutzende aufzählen. Seit es den Karlsfelder Asylhelferkreis gibt, engagiert sich Eckardt dort ehrenamtlich. Und wie damals Hunderte Helfer im Landkreis bietet auch er Deutschunterricht an, hilft Flüchtlingskindern bei den Hausaufgaben, begleitet die Asylbewerber bei Behördengängen. Für die Geflüchteten sind die Helfer vieles: Lehrer, Rechtsbegleiter, Psychologen. Das Problem ist: Wirklich ausgebildet in diesen Aufgaben ist kaum einer von ihnen.

Doch bei all den Rückschlägen, all den Problemen, mit denen die Asylhelferkreise im Laufe der Zeit konfrontiert wurden, gibt es immer wieder auch Erfolge. Der junge Syrer, der eine Ausbildung angefangen, eine Wohnung und Freunde gefunden hat. Die Familie, die eine unbegrenzte Aufenthaltsgenehmigung bekommen hat und in Dachau jetzt ein Leben ohne Angst vor Verfolgung führen kann. Barth sagt: "Das macht Mut."

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Quelle:
SZ vom 29.08.2019
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