Süddeutsche Zeitung

Vollversammlung des Stadtrats:Derbe Töne in der Philharmonie

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"Bankrott", "Arroganz", "Heuchelei": In der ersten Finanzdebatte des neuen Stadtrats geht es hoch her. Die grün-rote Koalition verteidigt ihre Sparansätze, die CSU kritisiert diese als rein verkehrsideologisch motiviert.

Von Heiner Effern, München

Die Opposition hat in der ersten großen Finanzdebatte des neuen Stadtrats der grün-roten Koalition Totalversagen, Ignoranz und Arroganz vorgeworfen. Das Sparprogramm und die finanzpolitischen Vorgaben für den Haushalt 2021 der beiden Regierungsfraktionen stellten "einen kompletten politischen Bankrott" dar, sagte der stellvertretende CSU-Fraktionschef Hans Theiss. Unter dem Mantel der Corona-Finanzkrise würde die Koalition nur ihre Verkehrsideologie vorantreiben, spielte er auf die Streichung der drei großen geplanten Straßentunnel an. Die Sparliste von Grünen und SPD sei eine "Mogelpackung" voller Projekte, die dieses und nächstes Jahr ohnehin kaum Kosten verursacht hätten. FDP-Fraktionschef Jörg Hoffmann sprach der Koalition jede Fähigkeit zur Kooperation ab. Sie pflege schon nach wenigen Monaten "eine Arroganz der Macht", die ihm jeden Spaß an der Arbeit verleiden würde. Vorschläge der Opposition seien "reine Zeitverschwendung".

Die Koalition konterte die Attacken ebenso scharf. "Eine Oppositionsrede mit so wenig Substanz und so überbordender Rhetorik habe ich noch nicht gehört", sagte Grünen-Fraktionschef Florian Roth zur CSU. Er habe keinen einzigen konstruktiven, finanzpolitischen Vorschlag gehört. Die Vorgängerregierung aus CSU und SPD habe keine Prioritäten gesetzt und einfach alles für viel Geld beschlossen. "Das ist, wie wenn jemand, der lange Zeit der Völlerei gefrönt und in Saus und Braus gelebt hat, sich nun zum Chef-Diätberater aufspielt." Die Koalition würde nun "Verantwortung übernehmen und Antworten liefern", was die CSU in der Regierung nicht hinbekommen habe, sagte Christian Köning, finanzpolitischer Sprecher der SPD.

Die Finanzdebatte stand unter dem Eindruck der Coronakrise und vereinte drei verschiedene Bausteine: das Sanierungspaket für den Haushalt 2020, die finanzpolitischen Eckpunkte für das Jahr 2021 und die Streichliste bei den Investitionen, die das grün-rote Bündnis wenige Tage vor der Vollversammlung des Stadtrats vorgelegt hatte. Fest steht, dass die wegbrechende Gewerbesteuer und die durch Corona nötigen Mehrausgaben den Haushalt schwer belasten werden. Für die Jahre 2020 und 2021 erwartet die Kämmerei ein Minus von 196 Millionen Euro (2020) und 240 Millionen Euro (2021) im laufenden Geschäft der Verwaltung. Nach vierstündiger Debatte stimmte Grün-Rot gegen die Opposition für Sparprogramme in den Referaten und eine strikte Begrenzung zusätzlicher Stellen, die sie noch leicht aufgeweicht hat. Für Investitionen wird die Stadt 2021 fast 1,8 Milliarden neue Schulden aufnehmen müssen. Die davon weitgehend unabhängige Streichliste von Grün-Rot umfasst ein Volumen von etwa 1,8 Milliarden Euro. Neben den Straßentunnels wurde unter anderem die Sanierung des Stadtmuseums weit in die Zukunft geschoben, die Sanierung der Olympia-Regattaanlage und das geplante Actionsportzentrum in Pasing wurden gestrichen. Die Feuerwehr bekommt 187 Millionen Euro weniger für Investitionen.

An dieser Liste hatten sich die Emotionen entzündet. Die Opposition warf der Regierung dabei ein ignorantes und arrogantes Vorgehen vor. Sie habe vorher mit den anderen Parteien und mit den Betroffenen nicht gesprochen. Die CSU erklärte, dass für die extrem unter Druck stehenden Haushalte 2020 bis 2022 diese Sparliste kaum eine Wirkung entfalte. Konstruktive aktuelle Vorschläge könne sie nicht erkennen. "Entweder wollt ihr euch nicht einigen oder ihr könnte es nicht oder ihr habt die Dramatik nicht erkannt", sagte Fraktionsvize Theiss. Das vorgelegte rot-grüne Placebo könne jeder durchschauen. "Wollt ihr uns für blöd verkaufen?

Das hat unsere Stadt nicht verdient. Armes München." Grünen-Fraktionschef Roth bezeichnete die Tunnelpläne der CSU an der Landshuter Allee als "eine Lebenslüge der CSU". Dieser hätte eher zwei Milliarden gekostet, wäre nie zu finanzieren gewesen und das wisse auch die CSU genau. Die Koalition habe mit ihrem Finanzpaket klare Prioritäten gesetzt: für den sozialen Zusammenhalt durch bezahlbaren Wohnraum für alle, für die Verkehrswende und damit den Schutz vor Lärm und Abgasen und für den Klimaschutz. Das ziehe sich durch alle Vorschläge im Finanzbereich. SPD-Fraktionschefin Anne Hübner mahnte, dass es in Zeiten, in denen Zehntausende Jobs in München in Gefahr seien, nicht angebracht sei, "sich nur etwas um die Ohren zu hauen".

Das erzürnte wiederum die Linke. Fraktionschef Stefan Jagel warf insbesondere den Grünen "Heuchelei" vor, wenn sie sich als Wahrer einer sozialen Stadt gerierten, aber im Sozialbereich nicht genügend Stellen vorhielten. Ganz am Schluss würdigte Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) die Finanzvorschläge der Koalition als sehr differenziert und warb für "ein bisserl Abrüstung" im Umgang miteinander.

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Quelle:
SZ vom 23.07.2020
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