Süddeutsche Zeitung

Kommentar:Krisen brauchen Kreative

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Nach ein paar Tagen Isolation werden die Menschen feststellen, dass ihnen etwas fehlt. Daher ist es richtig, dass die Stadt die Kulturszene in Zeiten von Corona zusätzlich unterstützt.

Kommentar von Michael Zirnstein

Nicht das Coronavirus bedroht Münchner Künstler, ihre Existenz ist gefährdet, seit sie sich für den Beruf des Kreativen entschieden haben. Gerade viele freischaffende Schauspieler, Musiker, Tänzer und bildende Künstler verdienen mit ihrer Arbeit längst nicht das tägliche Brot. Als die aussichtsreichsten Oberbürgermeisterkandidaten sich vor der Kommunalwahl bei einer Diskussion ein paar Hundert Vertretern der freien Szene stellten, schlug ihnen Verbitterung entgegen. Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD), Kristina Frank (CSU) und Katrin Habenschaden (Grüne) versprachen zu helfen.

Jetzt ist alles viel schlimmer, und die Stadt hilft, wo es geht. Nun, da Konzerte verboten wurden und selbst kleine Theater und Kinos wochenlang schließen müssen, gibt die Stadt einige Millionen Euro zusätzlich zum eigenen Etat und zu den Hilfen von Bund und Freistaat. Alle versprochenen Zuschüsse an die freie Szene werden weiterbezahlt, auch wenn die geförderten Veranstaltungen nie stattfinden werden. Das gibt Sicherheit. Und nichts anderes darf man erwarten von einer Stadt, welche die Kultur hochhält, die auch nach der Krise noch auf ein breites Fundament bauen will.

Es mag sein, dass wieder einmal die Frage aufkommt, ob das nicht Luxus ist. Ob es das braucht, all das Theater, die Musik und das oft schwer verständliche Gedöns. Aber auch wer jetzt scheinbar gelernt hat, mit Klopapier, Nudeln und Netflix auszukommen, wird nach ein paar Tagen Isolation feststellen: Irgendetwas fehlt. Das Verbindende, das gemeinsam im Moment erlebte, der Sinn hinter dem Ganzen. Dafür gibt es Experten, die sich seit Jahren darum bemühen: Künstler. Und während das Virus umgeht und sie zur Untätigkeit verdammt, werden sie aktiv. Die Jazzbar Vogler wird zur Anlauf- und Auffangstelle von Musikern.

Andere gründen Plattformen wie "One München" oder "Die Kulturretter", auf denen sie weiter Theater, Konzerte, Lesungen und mehr machen können, dann halt mal eine Weile übers Internet zu ihrem Publikum gestreamt. Wenn Spenden kommen, werden die an notleidende Kollegen verteilt. Diese Solidarität kann man sich auch von den Künstlern abschauen, und ihnen etwas zurückgeben - etwa, indem man nicht darauf pocht, sich Tickets für abgesagte Konzerte erstatten zu lassen (auch Veranstalter sind Kulturschaffende). So kann jeder die Kulturszene der Stadt stützen, denn gerade in Krisen braucht es Kreative.

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Quelle:
SZ vom 19.03.2020
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