Süddeutsche Zeitung

Corona-Krise:Für die Kliniken zählt jeder Tag

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Von Heiner Effern

China und seine Schreckensmeldungen schienen noch immer sehr weit entfernt, als Deutschland seine ersten Corona-Fälle registrierte. Die neun infizierten Patienten behandelten erfolgreich Ärzte der städtischen München Klinik in der Abteilung für Infektiologie im Schwabinger Krankenhaus. Nur wenige Wochen später bereiten sich die Ärzte dort wie alle anderen Mitarbeiter der städtischen Krankenhäuser auf eine Krise vor, von der sie selbst nicht wissen, wann sie kommt und wie groß sie sein wird. Sie ahnen nur mit Blick auf Italien, dass sie sehr groß werden könnte. "Wir haben mehr oder weniger alle Projekte eingestellt und konzentrieren uns auf die eine Sache", sagt Klinik-Chef Axel Fischer. Corona.

Die München Klinik mit ihren insgesamt 7000 Mitarbeitern habe einen Vorteil. "Wir sind die ersten, die Erfahrung damit gemacht haben. Wir kennen die Herausforderung." Das veranlasste Fischer und sein Team, seit Wochen alle Kräfte auf das Coronavirus auszurichten. Krisenstäbe und Arbeitsgruppen arbeiten auf Hochtouren, massive Einschnitte im Alltag sind schon spürbar. Der medizinische Betrieb an den vier großen Klinik-Standorten Schwabing, Bogenhausen, Neuperlach und Harlaching wird systematisch heruntergefahren. Nur noch die absolute Daseinsvorsorge läuft weiter: Notfallmedizin zum Beispiel, Geriatrie, Geburten und lebenswichtige Operationen. Alle planbaren und nicht sofort nötigen Eingriffe werden verschoben, Betten und Mitarbeiter werden für die Behandlung von Covid-19 freigeschaufelt. So heißt die Krankheit, die das Virus auslöst.

Derzeit behandelt die München Klinik 14 Patienten. Zehn davon liegen auf einer Isolierstation, vier auf der Intensivstation. Das dafür nötige Personal, Material und die Technik habe man zur Verfügung, sagt Clemens Wendtner, ärztlicher Leiter der Infektiologie. Doch mit Blick auf China und Italien weiß er, dass die Herausforderungen wachsen werden, und zwar gewaltig. "Die Dimension die wir jetzt erleben, ist einmalig." Das zeigt auch der Blick in die Statistik. Die Stadt meldete am Mittwochmittag 150 neu Infizierte, an einem einzigen Tag erhöht sich dadurch die Gesamtzahl in München fast um ein Drittel.

Derzeit könnte die München Klinik an all ihren Standorten auf etwa 120 Beatmungsgeräte zurückgreifen, um schwer Erkrankte zu behandeln. 200 zusätzliche sind bestellt. Diese werden kurzfristig nicht eintreffen, sollen aber mittel- und langfristig die Lage entspannen. Schließlich weiß niemand, wann der Höhepunkt kommen und wie lange diese Situation anhalten wird. Schutzausrüstung wie Anzüge oder Masken sind schon länger rationiert. Das heißt, dass der Verbrauch kontrolliert und auf das Mindestmaß reduziert wird, das nach den Hygienevorschriften möglich ist. "Diese werden unbedingt eingehalten", sagt Klinik-Chef Fischer.

Neben Betten, technischen Geräten und Schutzausrüstung könnte es trotz der schon laufenden Umschichtung beim Personal zu Engpässen kommen. Nicht jeder Pfleger und nicht jede Schwester, und auch nicht jeder Arzt ist automatisch versiert im Umgang mit hoch ansteckenden Viren. Die München-Klinik schult deshalb gerade in Crash-Kursen so viel Personal wie möglich.

Unter anderem gehe es um die wichtigen Hygienemaßnahmen, also das An- und Ablegen von Schutzmasken und Anzügen, sagt Clemens Wendtner, Leiter der Infektiologie. Daneben ist eine eigene Arbeitsgruppe damit beschäftigt, frühere Kollegen, Fachkräfte im Ruhestand und ausgebildete Mitarbeiter abzutelefonieren, die gerade in Verwaltungs- oder Managementpositionen beschäftigt sind. Ein Polster ist auch deshalb wichtig, weil die Behandlung in anderen Ländern gezeigt hat, dass sich auch Mitarbeiter trotz aller Schutzmaßnahmen angesteckt haben.

Das Personal will Klinikchef Fischer für den erwarteten Ansturm noch weiter entlasten. Derzeit seien Pflegepersonal und Ärzte 20 bis 30 Prozent ihrer Arbeitszeit mit rein bürokratischen Arbeiten und Dokumentation beschäftigt. Davon müsse man wegkommen, hemdsärmelig und pragmatisch müsste im Ernstfall reagiert werden. In Schwabing wird derzeit ein zweites Gebäude bereit gemacht, momentan werden hier die meisten Patienten behandelt. Laufen diese Kapazitäten voll, wird an alle Standorte verteilt.

An allen großen Häusern werden Isolierstationen eingerichtet, die bei Bedarf sukzessive erweitert werden können. Dort werden Patienten behandelt, die deutliche Symptome zeigen, aber nicht intensivmedizinisch betreut werden müssen. Doch ein großer Versorger wie die München-Klinik muss noch viel weiter denken. Neben der Arbeitsgruppe für den Einkauf, die möglichst viel Ausrüstung ranschaffen und dann mit Bedacht verteilen soll, machen sich Mitarbeiter auch ganz banale Gedanken. Wer reinigt die Isolierstationen, wer kann das und ist dazu bereit? Wer garantiert genug frische Wäsche? Der jetzige Dienstleister sitzt in Österreich.

Klinik-Chef Fischer und sein Stab wollen im Vorfeld möglichst viel organisieren, damit auch bei einem Ansturm von Patienten diese bestmöglich betreut werden. Der Kampf gegen das Coronavirus, davon ist Fischer überzeugt, wird "sich in den Kliniken abspielen". München sei mit etwa 50 Krankenhäusern dafür gut gerüstet. Die Vernetzung der großen Häuser laufe sehr gut, die Zusammenarbeit gestalte sich sehr solidarisch, bestätigt Wendtner, der ärztliche Leiter der Infektiologie.

Jeder Tag, den sich die Klinik länger vorbereiten kann, hilft. Deshalb appelliert Chef Fischer an die Bürger und die Politik, dafür alles zu tun. "Wenn Maßnahmen greifen und eingehalten werden, bin ich zuversichtlich, dass wir es schaffen, die Verbreitung abzubremsen. Das würde die Wucht für die Kliniken abfedern. Wir tun das Beste, um uns gut vorzubereiten." Behandelt werden künftig nur noch Patienten, die tatsächlich krank sind. Alle Infizierten ohne Symptome werden in häuslicher Isolation bleiben müssen. Dass sieben von neun Patienten, die infiziert sind, ohne Symptome nur darauf warten, entlassen zu werden, diesen Luxus wird es nicht mehr geben.

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SZ vom 19.03.2020
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