Süddeutsche Zeitung

Internetportal:Von Schwerttänzern und Spitzenklöpplerinnen

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Das Kulturportal "bavarikon" präsentiert als neuen Schwerpunkt das immaterielle Kulturgut Bayerns - doch nicht nur deshalb lohnt sich ein Besuch der Seite.

Von Sabine Reithmaier, München

Der Zwiefache gehört dazu, das Spitzenklöppeln im Oberpfälzer Wald, die Weihnachtsschützen im Berchtesgadener Land, die Agnes-Bernauer-Festspiele in Straubing, die Tölzer Leonhardifahrt oder das Wunsiedler Brunnenfest. Die Liste des immateriellen Kulturerbe Bayerns, seit kurzem im Kulturportal "bavarikon" in einer virtuellen Ausstellung zu besichtigen, ist stattlich. Die digitale Schau präsentiert unter www.bavarikon.de/kulturerben Fotos, Videos und Tonaufnahmen zu 34 kulturellen Ausdrucksformen, allesamt eingetragen im Bayerischen Landesverzeichnis des immateriellen Kulturerbes.

Neben mündlich überlieferten Traditionen, Bräuchen und Festen zählen dazu auch darstellende Künste, traditionelle Handwerkstechniken oder überliefertes Wissen um die Natur. Anders als das materielle Kulturerbe mit Baudenkmälern und Kunstwerken ist das immaterielle nicht greifbar, sondern nur im Moment des Tuns sichtbar, daher auch schwieriger zu präsentieren. Die Sammlung, angelegt als Schaudepot mit allen "Exponaten", stellt das breite Spektrum der Ausdrucksformen vor. Natürlich sind darunter auch überregional bekannte Veranstaltungen wie die Oberammergauer Passionsspiele oder der Further Drachenstich, aber eben auch Natur-Wissen, wie es in der hochalpinen Alpwirtschaft im Allgäu tradiert wird. Im Mittelpunkt stehen die Menschen, die sich das Wissen und Können früherer Generationen angeeignet und es weiterentwickelt haben.

Doch nicht nur das immaterielle Kulturgut lohnt den Besuch des Internetportals zu Kunst, Kultur und Landeskunde Bayerns, online seit 2013. Abgesehen von der Wissenserweiterung ist es schlicht und einfach sehr vergnüglich, sich mit dem vielfältigen Erbe zu befassen, dargeboten in einer enormen Bandbreite. Inzwischen wurden an die 370000 Inhalte von mehr als 110 beteiligten Kultureinrichtungen online gestellt. Um Organisation, Redaktion und Technik kümmert sich die Bayerische Staatsbibliothek, die Plattform selbst ist ein Gemeinschaftsprojekt von Kunst- und Digitalministerium.

Von der Startseite des Portals aus tippt man fast automatisch auf die "Glanzlichter", landet auf einer Fotoseite und klickt während des Runterscrollens beispielsweise das hinreißende "Byzantinische Knochenplättchen mit Herakles" an. 1984 wurde es bei Ausgrabungen im Klausurbereich des Benediktinerinnenkonvents auf der Fraueninsel im Chiemsee gefunden. Oder man interessiert sich vielleicht für die Stiefel der "Moorleiche von Peiting", der einzigen bislang bekannten Moorleiche aus Bayern, gefunden in Hohenpeißenberg. Oder wendet man sich doch lieber den durchbohrten Zauberpüppchen aus dem 2. oder 3. Jahrhundert zu, die von antiker Magie und voodoo-ähnlichen Ritualen zeugen.

Die immateriellen "Kultur Erben" sind übrigens nur einer der Schwerpunkte, die das Portal bietet. Genauso ist es möglich, sich detailliert mit Regensburg und seiner jüdischen Gemeinde im Mittelalter zu befassen und dabei festzustellen, dass die Regensburger schon früher nicht nur gearbeitet haben, sondern sich in Spiel- und Frauenhäusern amüsierten. Eine Ratsordnung aus dem Jahr 1397 regelt das Spielen allerdings streng. Keinem Bürger der Stadt, ob Christ oder Jude, war es erlaubt, an Glücksspielen teilzunehmen oder daheim selbst Spiele zu veranstalten, bei denen Geld, Lebensmittel oder sonstiges Gut zu gewinnen oder zu verlieren war. Von diesen Vorschriften gab es einige Ausnahmen: Das Kugelschlagen auf dem Feld, Brettspiele wie Schach oder Kartenspiele waren ehrbaren Leuten bis zu einem Einsatz von einem Pfennig und einem Gewinn von zwölf Pfennigen pro Tag erlaubt. Für einen Regensburger Pfennig erhielt man damals übrigens zwei Becher bayerischen Weins, 2,5 Becher Bier, ein Pfund Schmalz oder ein Pfund Hammelfleisch.

Zu finden ist auch die Nobelpreis-Urkunde, die Paul Heyse 1910 als erstem deutschen Dichter verliehen wurde

Man kann sich aber auch auf die Anfänge des Papiergelds stürzen, die Verfassung des Königreichs Bayern studieren, sich Luther und der frühen Reformation in Bayern annähern oder sich frühen Quellen und Darstellungen des Münchner Oktoberfests widmen. Die inhaltliche Bandbreite ist enorm und ganz sicher nicht nur für Historiker interessant. Auch Literaturfreunde werden fündig, sie können durch die Ausstellung zu bayerischen Schriftstellerinnen und der bürgerlichen Frauenbewegung um 1900 schlendern.

Ihren Anfang nahm sie im Jahr 1886, als zwei junge Frauen aus Dresden in die bayerische Residenzstadt kamen: Anita Augspurg (1857 - 1943) und Sophia Goudstikker (1865 - 1924). Die beiden gründeten gemeinsam das Fotoatelier Elvira (1887), das bald darauf zur Keimzelle der Frauenbewegung wurde. Fast vergessen ist trotz vieler prominenter Mitglieder auch der Münchner Dichterverein "Die Krokodile" (1857 - 1883), dessen Name sich von Hermann Linggs Scherzgedicht "Das Krokodil zu Singapur" ableitet. Als ideales Mitglied galt übrigens ein Dichter, der nicht bloß dichtete, sondern auch einem akademischen Beruf nachging. Wer große Linien bevorzugt, den verlockt vielleicht das Angebot, sich mit zehn Jahrhunderten bayerischer Literatur zu beschäftigen, angefangen vom Wessobrunner Gebet (vor 814) bis hin zum Aufklärer Lorenz von Westenrieder (1748 - 1829).

Natürlich ist es möglich, nach einzelnen Personen, Orten oder Objekten zu suchen. Auch nach eigenwilligen Raritäten wie der Nobelpreis-Urkunde, die Paul Heyse, auch er ein Mitglied der Krokodile, im Jahr 1910 als erster deutscher Dichter in Empfang nahm. Die Preisverleihungsurkunde aus seinem Nachlass besteht aus einer aufklappbaren Mappe, gebunden in blaues Leder mit farbiger Jugendstilgirlande.

Wer sich für die Frühzeit interessiert, kann sich von der "Roten von Mauern" faszinieren lassen, einer Kalkstein-Statuette, gefertigt um 25000 vor Christus, also ungefähr genauso alt wie die weltbekannte "Venus von Willendorf" aus Niederösterreich. Die Rote, ein androgynes Zwitterwesen, wurde 1948 in den Weinberghöhlen bei Mauern im Wellheimer Trockental entdeckt.

Und keine Sorge: Das Kulturportal hat eine von Bayerns wichtigsten Attraktionen natürlich nicht vergessen. Dem Leben und dem Mythos des "Märchenkönigs" Ludwig II. wird ausgiebig nachgespürt. Leicht hatten es seine Mitmenschen nicht mit ihm, auch nicht der österreichische Schauspieler Josef Kainz (1858 - 1910). Ihn verpflichtete Ludwig im Sommer 1881 zu einer Reise an die Schweizer Originalschauplätze von Schillers Drama "Wilhelm Tell". Kainz sollte auf der Tellsplatte oder im Rütlihaus im Kanton Uri Passagen aus Schillers Werk rezitieren. Doch die Erwartungen des Königs überforderten den jungen, von den langen Wanderungen erschöpften Schauspieler. Und so endete die Reise mit einem Bruch zwischen Gönner und Günstling.

Weitere Informationen zum Kulturportal unter www.bavarikon.de

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