Süddeutsche Zeitung

Ausstellung:Brotreiche Kunst

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Mal delikat, mal radikal unverdaulich widmet sich eine Schau in der Pasinger Fabrik der Ernährungskultur.

Von Jutta Czeguhn, München

"Ich bin das Brot". Ein Jesus-Zitat, 6. Kapitel Johannes-Evangelium? "Ich bin das Brot des Lebens; wer zu mir kommt, wird nie mehr hungern ..." Brot ist das Schlüssellebensmittel in den Kulturen und Religionen des Orients. Würde man allein das Alte und das Neue Testament mit der Tastenkombination Strg + F danach durchforsten, ständig stieße man drauf: Brot regnet als Manna vom Himmel, wird an die 5000 verteilt, im Vaterunser erfleht, beim Letzten Abendmahl gebrochen. Der Titel der aktuellen Ausstellung in der Pasinger Fabrik öffnet einen riesigen Bezugsraum, auch zur Kunstgeschichte. Zu den Stillleben flämischer Meister, zu Man Rays berühmtem blauen Baguette oder Käthe Kollwitz' zerrend bedrückender Hunger-Lithografie "Brot!".

Joerg Lehmann arbeitet in Berlin als Food-Fotograf und Stylist. Von ihm stammt die Idee zur Internet-Plattform " Ich bin das Brot". Mit diesem Projekt fand er im Münchner Kurator Stefan-Maria Mittendorf einen Verbündeten, der Lehmanns Brot-Begeisterung uneingeschränkt teilt und seine Foto-Kunst nun in die Fabrik geholt hat. Überaus schlüssig ergänzt mit Arbeiten von Sonja Alhäuser und Janine Mackenroth. Sie sind quasi das Triebmittel dieser Ausstellung, so werden Lehmanns manchmal zur glatten Werbeästhetik neigenden Fotowelten durch das Wechselspiel mit subversiver Malerei, Video-Kunst und Installationen weniger leicht verdaulich.

Nahezu perfekt kopiert Lehmann die Bildstrategien barocker Stillleben, sie sind delikat ausgeleuchtet, da sitzt jede Falte der Tischdecke, Granatapfelkerne funkeln fleischig, rösche Brotkrusten aktivieren den Riechnerv des Betrachters. Am stärksten aber ist der Künstler, dem es vergönnt war, in Paris acht Jahre über einer Bäckerei zu wohnen, wenn er seine Brotliebe mit persönlicher Note auslebt. Mit zärtlicher Andacht wie im Bild "Lisa" oder mit Augenzwinkern in der Serie "La Corrida del Panadero", in der ein Bäcker einen Paso Doble mit klebrigen Brotteigfänden vollführt, elegant wie ein übergewichtiger Stierkämpfer. Mitgeliefert zur Ausstellung hat Lehmann auch eine Auswahl sogenannten Found-Footage-Materials, das sind historische Schwarz-Weiß-Fotografien anonymen Ursprungs, aufgenommen wohl zu Anfang des vorigen Jahrhunderts in Frankreich. Menschen posieren fürs Familienalbum, oder für jemanden, der es den großen Foto-Dokumentaristen August Sander oder Henri Cartier-Bresson gleichtun wollte. Baguettes, sehr viele Baguettes sind da im Spiel.

Ein Baguette, täuschend echt, hat Sonja Alhäuser als Zutat zur Pasinger Schau aufgetischt. Auch sie ist eine Künstlerin, die Lebensmittel in ihre Arbeiten einbezieht, das kann bis zum performativem Ausrichten ganzer Bankette gehen mit Bezügen zu den Orgien der Surrealisten um André Breton. Oder eine Nummer kleiner; in der Schau zu sehen sind Ringe aus Brotteig mit Blattgold überzogen, wie sie sich Alhäuser für ihre eigene Hochzeit geschaffen und einverleibt hat, um Vergänglichkeit und Zerbrechlichkeit der Ehe darzustellen.

"You are what you eat" ist die verstörendste Arbeit dieser Schau, das Video einer Essperformance der Münchner Künstlerin Janine Mackenroth, das 2018 während ihres Aufenthalts als Artist in Residence in Brooklyn entstand. 17 Minuten und 46 Sekunden lang sieht man Mackenroth dabei zu, wie sie sich Chips aus biologischem Blaumais in den Mund schiebt. Knackend und knurpsend verschwindet so eine ganze Tüte. Stoisch konditioniert, ohne jeden Gefühlsausbruch, in seiner formalen Schlichtheit ist das eine provozierende Darstellung menschlicher Konsumkultur. Und ein Horrortrip für alle, die unter Misophonie leiden. Mit diesem radikalen Video schließt sich der Kreis in einer sehr sehenswerten Schau. Wir sind, was wir (fr)essen. Mit allen Konsequenzen.

"Ich bin das Brot", Joerg Lehmann, Sonja Alhäuser und Janine Mackenroth, P.ART Galerie der Pasinger Fabrik, August-Exter-Straße 1, bis 28. November, www.pasinger-fabrik.de

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