Süddeutsche Zeitung

Ausstellung "Herzliche Grüße aus dem Krieg":Spurensuche mit dem Zeichenstift

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Uli Knorr findet auf dem Dachboden Feldpostkarten seines Urgroßvaters - grausam und doch faszinierend sind die Motive. Weil sie ihn nicht loslassen, macht der Zeichner eine Graphic Novel daraus.

Von Wolfgang Görl

Das kann, denkt man im ersten Moment, doch nicht wahr sein: der Abgrund, der zwischen der Vorder- und der Rückseite dieser Postkarte gähnt. "Lieber Eugen", steht da unter anderem zu lesen, "wenn ich von der Mama nochmals Klagen über Dir höre, dann bekommst Du, wenn ich nächstens einmal in Urlaub komme, eine ordentliche Tracht Prügel." Abschließend heißt es: "Also bessere Dich, besten Gruß, Dein Papa." Auf der Vorderseite ist ein toter Mensch zu sehen, ein Soldat in zerfetzter Uniform, auf der von Geschossen zerpflügten Erde hinter Sandsäcken liegend.

Wie geht das zusammen? Da ist ein offenbar besorgter Vater, der an seinen Sohn schreibt. Nicht gerade freundliche Zeilen, doch galten Schläge zur damaligen Zeit durchaus als pädagogisch sinnvolle Maßnahme. Für seine Ermahnungen wählte der Papa aber eine Postkarte, auf der eine grausame Kriegsszene abgebildet ist - nicht der edle Heldentod, sondern das elende, dreckige Sterben.

Die Postkarte hat der Zeichner Uli Knorr, Jahrgang 1967, neben etlichen anderen Hinterlassenschaften auf einem Dachboden gefunden, in Grafing, wo die Vorfahren des Künstlers vor 100 Jahren lebten. Es sind viele Postkarten, die Knorrs Urgroßvater Emil, der im Ersten Weltkrieg an der Westfront kämpfte, aus Frankreich an Frau und Kinder daheim geschickt hat. Oft liebevolle Worte, geschrieben auf Postkarten mit entsetzlichen Motiven. Die Feldpost des Urgroßvaters, sagt Uli Knorr, "ist ein Spiegelbild der inneren Zerrissenheit eines Soldaten, der wie viele andere auch durch den Ersten Weltkrieg schwer traumatisiert wurde".

Eindrücke in Bildern verarbeitet

Was sollte Knorr mit dem Fund anfangen? "Diese Bilder arbeiteten in mir und wollten raus." Anfangs waren es Acryl- und Ölbilder, Gemälde in oft grellen, schreienden Farben, in denen Knorr die Eindrücke verarbeitete, welche die Feldpost seines Urgroßvaters in ihm hinterlassen hatten. Dann aber merkte er, dass in den Texten und Motiven eine Geschichte steckte, die Geschichte seiner Familie. "So wurde ich angeregt, selbst auf Spurensuche zu gehen und die Biografie meines Urgroßvaters als Comic zu zeichnen."

Mittlerweile ist daraus eine eindrucksvolle Graphic Novel geworden, die voraussichtlich im nächsten Jahr als Publikation der Landeszentrale für politische Bildung erscheint. Wer nicht so lange warten möchte, braucht nur ins Valentin-Karlstadt-Musäum gehen. Dort, im zweiten Stock des Isartor-Nordturms, sind Knorrs Arbeiten ausgestellt, ergänzend dazu zeugen Postkarten, Fotos und andere Dokumente vom Geschehen an der Front und in der Heimat. "Herzliche Grüße aus dem Krieg" lautet der Titel der Sonderausstellung, die zweierlei bietet: Eine aktuelle künstlerische Auseinandersetzung mit der sogenannten Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts sowie eine historische Rückschau, bei der es besonders um die Frage geht, was Karl Valentin, Weiß Ferdl und andere Münchner Volkssänger während des Kriegs getrieben haben.

Wie aber kam es, dass diese beiden Spielarten der historischen Auseinandersetzung, die Kunst und die Dokumentation, im Valentin-Musäum zusammengespannt wurden? Sabine Rinberger, die Chefin des Musäums, hatte einen Vorabdruck der Graphic Novel Knorrs mit nach Hause genommen, wo die 13-jährige Tochter Flavia das Heft entdeckte und es sofort interessant fand. "Das war für mich der Auslöser, dass man es unbedingt zeigen muss", sagt Rinberger. Knorrs gezeichnete Familiensaga, in der Kinder eine große Rolle spielen, sei bestens geeignet, Jugendliche zu berühren und ihr Interesse zu wecken. Und in der Tat: In seinen mit wenigen, aber wohlgesetzten Strichen gezeichneten Comics erzählt Knorr, wie der Krieg bis in die letzten Winkel des privaten Lebens dringt, wie er die Überlebenden traumatisiert und seelisch deformiert zurückwirft, und wie nachhaltig die Spuren sind, die er hinterlässt.

Was die Ausstellung darüber hinaus reizvoll macht, sind nicht zuletzt die Zeichnungen und Karikaturen, die Ludwig Greiner, der beste Freund Karl Valentins, während des Krieges angefertigt hat. Greiner, ein äußerst vielseitiger Künstler, diente im 2. Bayerischen Landwehr-Infanterie-Regiment und war später in Livland stationiert. Seine Zeichnungen schildern das Leben der Soldaten in den Unterständen und Schützengräben, sie zeigen zerstörte Dörfer und von Bomben und Granaten verwüstete Landschaft. Blutige Szenen mit Toten oder Verletzten sind eher selten. Weitaus deutlicher dokumentieren zeitgenössische Fotos die Grausamkeit dieses Krieges. Vor allem die Bilder aus dem Nachlass eines Herrn Glas, die eines Tages an der Museumskasse abgegeben wurden, zeigen die furchtbare Wirklichkeit jenseits der offiziellen Propaganda.

Ein kluger Ort für die Ausstellung

Greiners Spezi Karl Valentin, wegen Asthmas kriegsuntauglich, widmete sich in den Kriegsjahren der Aufgabe, die Menschen an der "Heimatfront" aufzuheitern. Valentin war Künstler genug, die Leute nicht mit billigem Blödsinn abzuspeisen; stattdessen verarbeitete er die zunehmend von Not und Elend geprägte Stimmung der Menschen in seinen Texten, gelegentlich auch mit bitterem Sarkasmus.

Anders ein Volkssängerkollege Weiß Ferdl: Dieser hatte sich freiwillig zum Kriegsdienst gemeldet hatte. Doch im Mai 1915 wurde der kämpfende Komiker in Frankreich durch einen Granatsplitter verwundet. Nach seiner Genesung kehrte er ins französische Kriegsgebiet zurück, nun mit dem Auftrag, die Truppe bei Laune zu halten. Weiß Ferdl tingelte mit seiner Singspieltruppe, dem "Platzl im Feld", zu dem auch der Kiem Pauli gehörte, durch die Etappe. "Sicher verdanke ich es dieser Tätigkeit, dass ich gesund und mit geraden Gliedern aus dem Krieg zurückkam", schrieb er später in seinen Memoiren.

Auf engem Raum ist es Sabine Rinberger und ihrem Mitarbeiter Andreas Koll gelungen, eine interessante und materialreiche Ausstellung zu präsentieren. Clever, wie die beiden nun mal sind, haben sie die Ausstellungsfläche gewissermaßen erweitert. Wer in den Innenhof des Isartors spaziert, erblickt dort sechs Stelen, auf denen die wesentlichen Aspekte des Projekts ins Bild gesetzt sind. Eine wunderbare Idee, die im übrigen beweist, dass der Hof zu mehr taugt als nur zum weihnachtlichen Ausschank einer Feuerzangenbowle.

Herzliche Grüße aus dem Krieg. Sonderausstellung im Valentin-Karlstadt-Musäum, bis zum 3. Februar 2015.

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Quelle:
SZ vom 31.10.2014
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