Süddeutsche Zeitung

Brandstiftung in Asylunterkunft:"Wir sterben alle hier"

Lesezeit: 2 min

Ein 27-jähriger Bewohner soll in einer Asylbewerberunterkunft in Aschheim Feuer gelegt haben. Nun steht er wegen 13-fachen versuchten Mordes vor Gericht.

Von Susi Wimmer

Der Tod kann ganz leise kommen, unmerklich, heimtückisch. Wenn es nachts brennt, kann der Schlafende den Rauch nicht riechen. Zwei, drei Atemzüge, die die Lungen mit dichtem, hochgiftigen Rauch füllen, reichen aus, um bewusstlos zu werden und im Schlaf zu ersticken. Die 13 Bewohner der Asylunterkunft in Aschheim hatten im Januar 2021 Glück - denn die Einrichtung hatte gut funktionierende Rauchmelder.

Es hätten Menschen ums Leben kommen können in dieser Nacht, doch Omar A. war das offenbar egal: "Wir sterben alle hier!", soll er gerufen und später sturzbetrunken in Suizidabsicht seine Matratze angezündet haben. Jetzt steht der 27-Jährige wegen 13-fachen versuchten Mordes vor dem Landgericht München I.

Knackpunkt in dem Prozess vor der ersten Schwurgerichtskammer dürfte die Frage sein, ob Omar A. schuldfähig ist. Zunächst gab es eine Antragsschrift mit dem Ziel, A. in einer geschlossenen psychiatrischen Klinik unterzubringen. Diese wurde später durch eine Anklageschrift ersetzt. "Es gibt zwei diametral unterschiedliche psychiatrische Gutachten", sagt die Verteidigerin Anja Aringer.

Aktuell befindet sich Omar A. in einer geschlossenen psychiatrischen Klinik. Er hat am ersten Verhandlungstag aber ein ganz anderes Problem: das Rauchverbot im Gericht. Wenn er nicht rauchen dürfe, werde er am nächsten Tag nicht mehr kommen, verkündet er.

Omar A. stammt aus Eritrea, einem Land, in dem ein Diktator sein Volk unterdrückt und Menschenrechte nichts zählen. 2015 flüchtete A. nach Deutschland, lebte in unterschiedlichen Asylheimen - und im Gefängnis. Es gibt einige Einträge im Bundeszentralregister. Gleichzeitig schreibt die Staatsanwaltschaft, A. habe bereits im Jahr 2017 an paranoider Schizophrenie gelitten mit akustischen Halluzinationen und paranoidem Wahn. Ab September 2020 sollen die Symptome zurückgegangen sein, stattdessen soll A. in eine postpsychotische Depression verfallen sein, die er mit Alkohol kompensierte.

Am Abend des 13. Januar 2021 dann die Eskalation: Gegen 1.30 Uhr stand A. am Gang der Unterkunft in der Karl-Hammerschmidt-Straße, so die Anklage, zündete zweimal ein Feuerzeug an und rief einer Mitbewohnerin zu: "Heute ist heute, today is today. Wir sterben alle hier." Zu diesem Zeitpunkt hatte er mehr als drei Promille Alkohol im Blut. Dann soll er seine Matratze entzündet haben. Das Feuer breitete sich in der Container-Unterkunft rasend schnell aus.

Ein Mitbewohner wurde durch das Piepen eines Feuermelders wach. "Ich dachte, das ist der aus der Küche gegenüber, der geht öfter mal an, wenn was gekocht wird", sagt er vor Gericht. Er wollte weiterschlafen, aber das laute Piepen blieb. Also öffnete er die Tür zum Gang, "da war alles komplett verraucht, man konnte nichts mehr sehen".

Flucht durch das Fenster

Er weckte seinen Mitbewohner und beide flüchteten durch das Fenster ins Freie. "Wir waren die letzten, die raus sind", sagt er. Sein gesamtes Hab und und Gut verbrannte. Über den Helferkreis der Gemeinde erhielt er 250 Euro und Kleidung. Wieder ein Neuanfang bei Null.

Alle 13 Bewohner wurden dank der Feuermelder wach und konnten sich rechtzeitig über die Fenster retten. Eine von ihnen glaubte, in den brennenden Containern ihren Freund auszumachen. Sie lief hinein, zog die Person heraus, es war Omar A., der in den Flammen gestanden hatte. Er erlitt Verbrennungen im Gesicht und an den Händen.

"Er war oft betrunken, führte laute Selbstgespräche, schlug nachts gegen die Tür", erzählt ein Zeuge. Der Zustand von A. habe sich kurz vor der Tat verschlimmert. Der Prozess ist bis Mitte März terminiert.

Anmerkung der Redaktion: Wir haben uns entschieden, nur sehr zurückhaltend über Suizide oder Suizidversuche zu berichten. Der Grund für unsere Zurückhaltung ist die hohe Nachahmerquote nach jeder Berichterstattung über Selbsttötungen. Wenn Sie sich selbst betroffen fühlen, kontaktieren Sie bitte umgehend die Telefonseelsorge ( http://www.telefonseelsorge.de ). Unter der kostenlosen Hotline 0800-1110111 oder 0800-1110222 erhalten Sie Hilfe von Beratern, die in vielen Fällen Auswege aus schwierigen Situationen aufzeigen konnten.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.5524525
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.