Süddeutsche Zeitung

Antisemitismus in München:Dreizehn Straftaten gegen Juden

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Von Martin Bernstein, München

Hetze im Internet, Hakenkreuzschmierereien, anonyme Briefe, judenfeindliche Beschimpfungen: Die Liste antisemitisch motivierter Straftaten, die Polizei und Innenministerium für dieses Jahr aufgestellt haben, ist erschreckend. 13 derartige Delikte haben die Sicherheitsbehörden in München in diesem Jahr bislang gezählt.

Die Täter werden in allen Fällen im rechten Spektrum vermutet. Lediglich drei der Täter konnten inzwischen ermittelt werden. Die grüne Landtagsabgeordnete Katharina Schulze, auf deren Anfrage hin die Liste erstellt wurde, nennt die bayernweite Quote der Anklageerhebungen und Verurteilungen "extrem niedrig."

Viele Angriffe sind noch nicht aufgeklärt

Auch der bisher gravierendste Vorfall, der Brandanschlag auf die Freiluftausstellung "Jüdisches Leben in München gestern und heute" auf dem Jakobsplatz Ende Juni, ist noch nicht aufgeklärt. Unbekannte hatten auf mehreren Bildern den gezeigten Personen offenbar mit glimmenden Zigaretten Löcher ins Gesicht gebrannt, meist nach Art eines "Hitler-Bärtchens" auf der Oberlippe. Betroffen waren unter anderem Darstellungen prominenter Politiker und Rabbiner.

Bayerns Kultusminister Ludwig Spaenle (CSU) sagte damals, dies sei "ein Anschlag nicht nur auf die Bilder, sondern auf uns alle". Jetzt sei die wehrhafte Demokratie gefordert. "Wir müssen deutlich machen, dass die Synagoge zu Recht im Herzen Münchens steht."

Ermittlungen haben noch keine Ergebnisse

Am 17. September war das jüdische Gemeindezentrum erneut Ziel rechter Antisemiten. Sie brachten dort drei Aufkleber mit judenfeindlichen Parolen an, ebenso am Abgang zum U-Bahnhof Marienplatz. In derselben Nacht schlugen Unbekannte auch am Haus der Kunst zu. Die Installationen "Résistance" von Christian Boltanski wurde mit einem Hakenkreuz beschmiert, auf das Werk "Travertin/Judenpech" von Gustav Metzger wurde ein Davidstern gezeichnet.

Nicht nur für Spaenle ist das ein "deutlich sichtbares Zeichen für Antisemitismus". Die Installationen sind Teil einer Ausstellung zur Geschichte des Hauses der Kunst. Der einstige NS-Kunsttempel war 1937 von Adolf Hitler eröffnet worden. Die Ermittlungen der Polizei sind bisher ergebnislos geblieben.

Besonders intensiv ermittelt der Staatsschutz der Münchner Polizei offenbar in zwei Fällen von Volksverhetzung vom 2. Januar und vom 23. März. So intensiv, dass man sich - obwohl die Fälle auf der Liste des Innenministeriums verzeichnet sind - bei der Polizei nicht weiter dazu äußern will. Allein zwischen Ende Januar und Mitte April verzeichnete die Münchner Polizei fünf weitere antisemitische Straftaten. Im Juni nahmen Beamte einen Mann fest, der einem Farbigen den Hitlergruß gezeigt hatte. Bei seiner Festnahme beschimpfte der Täter die Polizisten mit antisemitischen Beleidigungen.

Ein Einzelfall, aber offenbar keine Einzelmeinung: Laut einer vor zwei Jahren veröffentlichten Studie der Ludwig-Maximilians-Universität München hatten sechs Prozent der damals Befragten starke antisemitische Tendenzen ("Auch heute noch ist der Einfluss der Juden zu groß. Juden haben einfach etwas Besonderes und Eigentümliches und passen nicht so recht zu uns"). Weitere zwölf Prozent der Befragten äußerten eine "mittlere gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit" gegenüber Juden, wie es die Soziologen formulierten.

Antisemitismus ist ein Phänomen der Rechten

Die Forscher fanden auch heraus: Der typische Münchner Judenhasser ist männlich, 55 Jahre oder älter - und kann durchaus auch hoch gebildet sein. Ob er deutscher oder ausländischer Herkunft ist, spielt dabei keine Rolle, die Werte sind nahezu identisch.

Was die Zahl der judenfeindlichen Delikte angeht, gilt das freilich nicht. "Antisemitismus bleibt im Hinblick auf entsprechende Straf- und Gewalttaten ein Phänomen der Rechten", sagt Katharina Schulze. Seit August 2014 hat die Münchner Polizei kein einziges antisemitisches Delikt einem ausländischen Täter zurechnen können. Die Mär vom angeblich durch radikale Muslime importierten Antisemitismus löst sich in Luft auf.

Antisemitische Briefe gegen Politiker

Was freilich rechte Gruppen wie die vom Verfassungsschutz beobachtete Pegida München nicht hindert, auch an diesem Montag mit einer israelischen Fahne durch die Stadt zu ziehen und Stimmung geben den angeblichen gemeinsamen Feind, den Islam, zu machen. Doch CSU-Stadtrat Marian Offman, Vorstandsmitglied der israelitischen Kultusgemeinde, warnt seit Beginn der Münchner Pegida-Kundgebungen: Wer heute vor der angeblichen Islamisierung warne, werde morgen von einer Verschwörung des Weltjudentums reden. "Das sind zwei Seiten derselben Medaille."

Wie zum Beweis bekommt Offman für seine eindeutige Haltung immer wieder von Islamhassern offen antisemitische Briefe. Und auch auf den Facebook-Seiten der Münchner Pegida werden antisemitische Ausfälle gegen Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) gepostet. Da passt es dann auch, dass die Münchner Pegida Kontakte zu denjenigen Männern unterhält, die 2003 ein Bombenattentat auf die Grundsteinlegung auf das jüdische Gemeindezentrum auf dem Jakobsplatz geplant hatten.

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Quelle:
SZ vom 14.12.2015
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