Süddeutsche Zeitung

Hommage mit Konzert und Lesung:Zum Geburtstag viele Glückssucher

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Alexander Kluge wird 90. Die Münchner Kammerspiele bereiten dem nimmermüden Filmemacher und Autor ein Wochenende lang ein großes Fest mit Weggefährten wie Hannelore Hoger, "Soap & Skin" und Lilith Stangenberg.

Von Michael Zirnstein

Das Geburtstagskind ziert sich etwas. Wobei zieren das falsche Wort ist, das hieße ja, derjenige, den es zu feiern gilt, schmücke sich in seiner Reserviertheit mit Bescheidenheit. So ist Alexander Kluge aber nicht, sondern eher auf Wichtigeres fokussiert. Also, er "reagiert verhalten", heißt es. Der Münchner Geisteswissenschaffende wolle seinen Geburtstag "nicht so hochhängen", und sei es der runde 90., erklärt Claus Philipp. Ihm aber obliegt als Projekt-Dramaturg an den Kammerspielen die ehrenvolle Aufgabe, ein Fest für Alexander Kluge auszurichten, weil der nun einmal "ausgerechnet und glücklicherweise in dieser Stadt lebt". So habe sich das Münchner Theater "seiner angenommen", sagt der Wiener Claus Philipp. Er ist Kluge als Kulturjournalist, Buch-Ersteller ("Magazin des Glücks"), Gesprächs- und Kinoleiter immer wieder intensiv begegnet.

Seit einem Jahr nun habe er ihn "so oft getroffen wie noch nie", was ihn, Philipp, "sehr glücklich macht". So habe er Kluge zusammen mit der Intendantin Barbara Mundel in dessen Schwabinger Wohn-, Studien- und Arbeitsquartier besucht, und auch mit dem Regisseur Jan-Christoph Gockel, der ihm dort seine Ideen für die Inszenierung "Wer immer hofft, stirbt singend" nahebrachte. Diese Revue, die sich auf Motive aus Kluges 1962 bei den Filmfestspielen von Venedig mit dem "Goldenen Löwen" ausgezeichnetes Keim-Zelluloid "Artisten in der Zirkuskuppel: ratlos" stützt und mit diesen jongliert, soll der dramatische Abschluss der ganzen Fest-Spielreihe werden (Premiere ist am 13. März).

Seit Oktober kreisen die Kammerspiele um Kluge wie die Bälle um den Kopf eines Jongleurs. Von allen Seiten umspielt man ein Lebenswerk, das dem Publikum womöglich "in all seiner monumentalen Übersichtlichkeit weder geläufig, geschweige denn: erschließbar geworden ist". Nun wird ein Wochenende lang in den Geburtstag am 14. Februar hineingefeiert. Am Samstag, 12. Februar, mit einem "musikalischen Abend für Glücksucher", am Sonntag mit einer bunten Lunchtime-Lesung rund um Kluges neues Hauptwerk "Das Buch der Kommentare: Unruhiger Garten der Seele" (Suhrkamp-Verlag). Dies ist nicht geballte Meinungsmache, sondern ein hemmungslos assoziierender, also alles Mögliche verbindender Gedankenkosmos des Adorno-Schülers, wenn man so will der Versuch einer Biografie. Dass er als Kind im Keller in Halberstadt die Bombenabwürfe der Flugzeuge hörte, spürte und knapp überlebte, ist das Trauma, das all seinen Weltbeschreibungs- und -erklärungsversuchen zugrunde zu liegen scheint und das es zu "reparieren" gilt, die Welt ist schließlich immer noch eine "Zeitbombe". 400 Seiten voller Erinnertem oder Re-Konstruiertem - Geräusche, Gerüche, Bilder -; voller Seitenblicke auf Menschen, Tiere, Sensationen; seine rührende, nie rührselige Familiengeschichte von den kurzbeinigen Schritten des Vaters, die noch seinen Schreibrhythmus prägen, bis zu "Patschefüßen" (wohl die eines Enkelkindes) auf dem Badezimmerboden; dazu alles, was dem folgt, nämlich eine unerschöpfliche Neugierde, die ihn etwa schwärmerisch "wie ein Vierjähriger" einer Virologin lauschen lässt.

Der Schaffensdrang Kluges ist ungebrochen

Für Claus Philipp ist es eine Herkulesarbeit, sich Kluges Sprudeln mit den Mitteln des Theaters zu nähern. Das liegt auch am Schaffensdrang des 89-Jährigen, der nicht versiegt, sondern mit zunehmendem Alter sich noch zu steigern scheint. Gerade sind auch noch ein Buch über Hagen von Tronje zusammen mit dem Maler-Star Jonathan Meese und ein "Zirkuskommentar" erschienen. "Es überfallen einen ständig neue Texte", sagt der Dramaturg.

Schwierig sei es, all die Filme, Bücher, TV-Beiträge, Gespräche, Bilder, Collagen und anderweitig geäußerten Gedanken aus Kluges "Pluriversum" begreifbar auf die Bühne zu bringen. Die Schriften und Fernsehbeiträge kämen eher "antidramatisch" daher, Kluge schätzt den unpointierten Plauderton seiner Heimat Halberstadt. Dafür müsse man Bilder und Wege finden, sagt Philipp, und nicht der Versuchung erliegen, "sein Werk zu verschauspielern". Es gelte eher, "Kluges Faible für Toleranz und Offenheit auf das Theater zu übertragen" und darüber zu sprechen, mit dem Publikum, wie Kluge es sich wünscht. Sicher wird man versuchen, Kluge irgendwie zu überraschen, aber auch bei einem Familienfest könne man das Brautpaar oder den Jubilar "nicht mit Regeln und Ritualen beglücken, die die nicht wollen", sagt Zeremonienmeister Philipp.

Auch ein Überraschungsgast wird erwartet

Philipps Mitwirkungsgesuche an Wegbegleiter Kluges trafen auf "reine Begeisterung und Dankbarkeit". Der Schwerpunkt des Wochenendes liegt auf starken Frauenfiguren, die sich in Kluges Filmen häufen. Etwa die Schauspielerin Lilith Stangenberg: Im "Buch der Kommentare" kommt sie mit der Beschreibung vor, wie sie zur Einarbeitung in ihre Hauptrolle im radikalen Film "Wild" durch Beobachtung eines Rudels die Sprache der Wölfe durch Anstupsen, Hin- und Weglaufen, Betasten entschlüsselte. Bei Kluge geisterte sie 2020 durch die Bilderwelt im Berlinale-Film "Orphea", der bald fortgesetzt werden soll. Die Musik dazu stammte auch vom Berliner Musiker "Sir Henry", dessen widerständige Stücke quasi als Anti-Ständchen auch am ersten Kluge-Abend erklingen. Davon hätte auch die Chanson- und Theatermusikerin Eva Jantschitsch alias Gustav einiges zu bieten gehabt, die Kluge seit Jahren verehrt (und umgekehrt), leider musste sie erkrankt absagen. Die Lücke soll Wiebke Puls aus dem Ensemble füllen. Freunde österreichischer Pop-Avantgarde dürften aber auch beim nun enthüllten Überraschungsgast des Abends frohlocken: Anja Plaschg hat sich mit Soap & Skin (aktueller Hit: "Ich tauche auf" zusammen mit Tocotronic) eine Kunstfigur geschaffen, die bei Konzerten wie auch Film- und Theater-Auftritten eine dramatische, geheimnisvolle Aura umhüllt.

Kein Geheimnis ist die Hauptleserin der Vorgeburtstags-Matinee: Hannelore Hoger, die '68 die Hauptrolle der Reformzirkusdirektorin Leni Peikert im "Artisten-Film" spielte und immer wieder mit Kluge arbeitete. Kluge selbst wird freilich auch da sein und ins Geschehen eingreifen. Als er ihm nahelegte, etwas zu seinen Werken im Theater zu machen, spürte Claus Philipp zwar eine "freundliche, produktive Skepsis". Aber der Filmemacher Kluge schätzt das Theater durchaus, er spüre da "mehr Bewegung" als beim Kinobesuch, sagte er in einem SZ-Interview. Und so wie er erzählen kann, wie er sich in Menschen, Wesen und Geschichten in seinen Büchern und Filmen einfühlt, bringt der Jubilar doch selbst das Zeug zum Schauspieler mit.

Alexander Kluge an den Kammerspielen, Musikabend mit u.a. Lilith Stangenberg, Sa., 12. Feb., 18 Uhr, Lesung mit u.a. Hannelore Hoger, So., 13. Feb., 11 Uhr, muenchner-kammerspiele.de

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