Im Hintern eines Elefanten ist wenig Erhellendes zu vermuten. Die Drehbedingungen für einen Film hinter der Dickhaut dürften auch denkbar ungünstig sein. Und da ist ja auch nichts. Aber bei Alexander Kluge geht hier im Dunkeln erst recht ein Licht auf. Und ein Kameralicht. "Das Nichts nichtet nicht, sagt Heidegger." So zitiert der Universalinteressierte, die Hände gefaltet auf seinen vollbeladenen Arbeitstisch in Schwabing abgelegt. In seinem "Pluriversum" (so hieß sein Kuriositätenkosmos in einer Literaturhaus-Ausstellung) ist immer etwas. Dabei kann sich Kluge seit 20 Jahren auf seinen liebsten Mitschöpfer sonderbarer Geisteswelten verlassen, den Komiker Helge Schneider. Auch der findet selbst in einem Elefanten-Po etwas, mit dem er die Leute veräppeln kann: Neulich habe er einem "Jumbo eine ganze Couch, die der gegessen hatte", rektal entfernen müssen.
So schwadroniert Schneider in seiner Rolle als Veterinär im ersten gemeinsamen Langfilm der beiden: "Pandemisches Geflüster" ist ein Zusammenschnitt mehrerer Video-Konferenzen im Lockdown. "Wir haben nie einen Plan", erklärt Kluge, "da würde Helge mir gar nicht antworten. Sie müssen die Ich-Schranke senken, etwas in den Raum stellen und warten. Das ist wie Jazz mit Worten." Normalerweise bei ihren Kurzfilmen für Kluges unerschöpfliches Format DCTP läuft es so: "Er sagt sich an, dann muss mein Team bereitstehen." Kluge bietet dem Gast einige Kostüme aus einem Verleih an der Hohenzollernstraße an. So können kleine Meisterwerke absurden Humors und Hirnens entstehen: Helge als tirolernder Skilehrer der Kanzlerin oder als Nibelungenlied-Hagen, der die AfD beschimpft. Kluge schätzt Schneiders jede Pointe verweigernden Humor, besonders das breite Erzählen im "Mühlheimer Thekenton". Damit lassen sich Abende am Tresen aber auch träge Lockdown-Tage füllen.
Der Elefant mit Dyskalkulie
Einmal im Film steigt Schneider auf Kluges Themenvorschlag "Das Dunkel im Hintern des Elefanten" ein und wird zum Tierarzt. "Was ich schon alles aus Elefanten rausgeholt habe, du glaubst es nicht!" Man glaubt es wirklich nicht, aber dann laufen im geteilten Bildschirm Aufnahmen einer echten Dickhäuter-Darmausräumung, ein Veterinär armtief im Anus, aus dem es sprudelt wie aus einem Geysir. Doc Schneider erzählt derweil von einem Zoo-Elefanten, der ihn 41 Jahre nach einer Stoßzahnoperation wiedererkannt, ihm berichtet habe, dass er inzwischen das Abitur nicht geschafft habe, weil er an Dyskalkulie leide. Und Kluge erwähnt, dass Elefanten durchaus zählen könnten, mit den Füßen nämlich, und er ihm allein deshalb das Abitur gegeben hätte, weil er so schöne deutsche Fremdwörter kenne.
Es ist absurd, es ist grotesk. Das fasziniert den großen Stauner Kluge, der vom Schreibtisch aus auf Bilder von Elefanten blickt. Die faszinieren ihn auch. Weil sie "offenkundig klug" sind, "für mich sind das Außerirdische". Er flunkert gern. Aber mit Elefanten kann der 89-Jährige wirklich die Welt erklären: Wie im indischen Märchen, wo Forscher im Dunkeln jeweils ein anderes Teil des Tieres anfassen und beschreiben. Nur gemeinsam wird ein Bild daraus. Kluge hat noch so ein Bild für die Welt, das schon seinen zweiten Film, "Artisten in der Zirkuskuppel", prägte, für den er 1968 den "Goldenen Löwen" in Venedig bekam: Unten die schweren Elefanten, daneben die Wärter und die Clowns, und oben die Akrobaten am Trapez: "Alles hängt voneinander ab, alle brauchen Bodenhaftung, und sie müssen frei sein, um etwas wagen zu können."
So funktioniert Kluges Werkstatt, wenn auch eher wie im amerikanischen Zirkus, in dem in drei Manegen alles gleichzeitig passiert. Vor dem Interview telefonierte er noch mit einem Verlag über den Bilder-Beschnitt eines seiner kommenden Bücher, wie das monumentale Hauptwerk "Kommentar der Kommentare" Anfang 2022. Bald erscheint "Eine Schramme am Himmel", Resultat der jahrelangen Auseinandersetzung von Kluge und Jonathan Meese um den Siegfried-Mörder Hagen von Tronje; der Maler lieferte die Bilder und die Idee, den Anti-Helden durch einen absichtlichen Fehler auch zu einem Hagen von Troja zu machen und damit den Assoziationsraum bis in die Antike auszudehnen. Das gebe ihm wahre Denkfreiheit, sagt Kluge, immer wenn er dagegen mit Habermaas rede, sei er gleich befangen.
An dem Kammerspielen feiert man monatelang in Kluges 90. Geburtstag hinein
Im April erst erschien Kluges "Napoleon Kommentar" mit Bildern, die Baselitz für ihn malte, und den er dann lesend in die Kammerspiele brachte. Das Theater ist nun Ausrichter eines monatelangen Hineinfeierns in Kluges 90. Geburtstag. Den will man nicht nur mit einem Fest am Wochenende vor dem 14. Februar 2022 begehen, sondern auch mit einer "Reparatur-Revue nach Geschichten und Motiven von Alexander Kluge" ("Wer immer hofft, stirbt singend", Premiere am 12. März) und vielen weiteren Aktionen und Kooperationen (etwa mit der Staatsoper, wo Kluge zuletzt seine Filminstallation "Sphinx Opera" zeigte). All das, um ins Gespräch mit dem Publikum zu kommen: "Denn Dialog hat nicht zur Folge, dass ich meine eigenen Ansichten verflache, sondern dass sie überhaupt hervorgerufen werden."
So kommt Kluge "selbstverständlich" zur heutigen Film-Premiere in die Kammerspiele. Sein Lieblingsspielgefährte ist nur auf der Leinwand zu sehen. Darauf werden sie mit Schneiders Teleskop in die Sterne blicken, werden Lichtfilmkunst mit dem Scheinwerfer hinter Helges Zauselhaaren machen und auch sonst Erhellendes in dunkle Tage bringen. Zum Beispiel über den karnevalesken Sturm der Trump-Getreuen aufs Kapitol (von Helge als dessen Türsteher nachgestellt): "Das ist ein Riesenkasperltheater", sagt Kluge, "ich sitze da und will wie ein Kind im Publikum rufen: ,Pass auf, der Teufel!' Da passiert etwas, das gefällt uns beiden nicht, weil das bestimmt das Schicksal von meinen Enkeln, und ich kann hier nichts dagegen tun." Die Ursachen für derlei Schrecken könne er "auch im Arsch eines Elefanten suchen", erklärt Kluge. Gibt es eine Antwort? Die läge im Ton, der im Verlauf des Films immer ruhiger werde: "Das ist der Sinn des pandemischen Geflüsters: Wir reden über die Weltverhältnisse, als ob wir keine Angst hätten."