Süddeutsche Zeitung

Xi Jinping:Der Einzigartige

Chinas Staats- und Parteichef wird mitten im Leben zur historischen Figur erklärt. Kann das wirklich gutgehen?

Kommentar von Stefan Kornelius

In der geschlossenen Welt der chinesischen Führung sind Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft Steuerungsmittel für den Machterhalt. Wer die Vergangenheit, also die Geschichtsschreibung, kontrolliert, der kontrolliert auch die Zukunft. Deshalb wird Xi Jinping nun der irdischen Sphären des Daseins als Parteichef enthoben und zur historischen Figur stilisiert, die übermenschlich, unangreifbar und vor allem unersetzbar ist. Ein innerparteilicher Rivale ist nicht erkennbar, selbst wenn Gerüchte über die Stabilität der Xi-Herrschaft nicht verstummen wollen. Die nächste Amtszeit wird zur Formalie.

Personenkult ist ein zentrales Charakteristikum autoritärer und diktatorischer Systeme. Wenn die Person wichtiger wird als das System, dann werden Regeln zum Machterhalt unbedeutend, dann verschwindet die Berechenbarkeit, Willkür bricht sich Bahn. Kein autoritäres System mit Ausnahme der Kim-Diktatur in Nordkorea hat die Verengung auf diese eine Person an der Spitze auf Dauer überlebt. Auch China hat sich nach Mao eine gewisse Pause vom Personenkult erlaubt.

Nun gehen die Kommunistische Partei und Xi an ihrer Spitze ein gewagtes Experiment ein, noch dazu in einem Land, das sich qua Größe und ethnischer Vielfalt nicht unbedingt einer einzigen Figur unterordnen lässt. Die Entscheidung ist also geschichtsvergessen und insofern bemerkenswert, als die KP aus dem Zerfall der Sowjetunion durchaus die richtigen Lehren gezogen hatte. Geschichte spielt eine Rolle in China - man muss sie aber auch richtig lesen.

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