Süddeutsche Zeitung

Telegram:Der wehrlose Rechtsstaat

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Wenn das BKA den Kurznachrichtendienst mit Hackermethoden in die Knie zwingen will, ist das ein trauriges Eingeständnis.

Kommentar von Andrian Kreye

In den asymmetrischen Konflikten des 21. Jahrhunderts ist eine der Herausforderungen an die Demokratie, sich an die Regeln des Rechtsstaates zu halten. Wenn das Bundeskriminalamt nun vorhat, den Kurznachrichtendienst Telegram mit Löschbitten und Datenanfragen zu fluten, bedient es sich einer Methode, die sonst Hacker anwenden. Nun sind Hacker per se keine Finsterlinge. Sie unterscheiden sich in die White-Hat- und die Black-Hat-Hacker, in die Guten und die Bösen. Einen Anbieter mit Anfragen so zu überfordern, dass er in die Knie geht, ist aber eine Aggression, die normalerweise Schwarzhuthacker anwenden, um jemanden zu erpressen.

Auch das BKA und das Innenministerium wollen Druck aufbauen. Telegram ist in Deutschland ein digitaler Raum geworden, in dem sich Hass, Hetze und Lügen ungehindert ausbreiten können. Der flüchtige Rechtsextreme Attila Hildmann verbreitet dort zum Beispiel weiterhin Pandemie-Lügen und Antisemitismus. Anfragen des Innenministeriums ignoriert die Mutterfirma von Telegram. Wenn das BKA nun zu Hackermethoden greift, um dem Dienst mit seinen eigenen Mitteln beizukommen, stellt es sich aber nicht nur in eine unrühmliche Reihe von Mächten, die Telegram schon in der Vergangenheit angegriffen haben. Russische und iranische Hacker haben Telegram wiederholt attackiert. Aus China kamen ähnliche Überforderungsangriffe, wie sie das BKA nun vorhat.

Die Pläne zeigen aber vor allem, dass sich in den Konflikten des digitalen Raumes die Machtverhältnisse umgekehrt haben. Die Nationalstaaten haben ihr Machtmonopol verloren. In diesem konkreten Fall kann die Bundesregierung mit ihren traditionellen Mitteln nur wenig gegen einen Kurznachrichtendienst mit Firmensitzen in London, Dubai, tropischen Kleinstaaten und rund 500 Millionen Nutzern in aller Welt ausrichten. Das ist auch ein Eingeständnis, dass Rechtsstaat und Demokratie sich nicht mehr effektiv wehren können. Mehr Asymmetrie ist kaum möglich.

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