Süddeutsche Zeitung

Ukraine-Invasion:Kriegsziel gesucht

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Solange weder die Ukraine noch Russland wissen, was sie erreichen wollen, kann es keinen Frieden geben.

Kommentar von Stefan Kornelius

Bei allem Tagesgetöse ist die Dynamik der Ukraine-Invasion unverkennbar: Russland ist nach langen Kriegsmonaten zur Erkenntnis gekommen, dass die weitgesteckten Kriegsziele nicht zu erreichen sind. Weder wird die Regierung aus Kiew zu vertreiben sein, noch lässt sich die Hauptstadt kontrollieren, und selbst die Gebiete östlich des Dneprs sind nicht zu halten. Nun stellt sich die Frage, ob Moskau sich auf die bereits besetzten sogenannten Volksrepubliken konzentriert und den Landkorridor zur Krim mit Mariupol um jeden Preis annektieren will. Selbst das wird auf lange Zeit einen enormen militärischen Aufwand erzwingen.

Die Ukraine jedenfalls zeigt keine Bereitschaft, sich mit dieser gewaltsamen Aneignung abzufinden. Die Verlängerung des Kriegsrechts bis August ist da nur symbolisch. Dieser Krieg kennt keinen Stichtag, selbst wenn täglich Dutzende Zivilisten und Soldaten ihr Leben lassen und die Zerstörung atemberaubend ist. Die Zeit spielt dabei zugunsten der Ukraine. Die schweren Waffen aus dem Westen werden erst in wenigen Wochen ihre Wirkung entfalten, während Russland immer mehr in Versorgungsschwierigkeiten zu geraten scheint. Irgendwann wird es einen politischen Kipppunkt geben, zu dem sich die alles entscheidende Frage stellt: Für welches Ziel will die Ukraine kämpfen?

Diese Frage ist nicht trivial, weil sie auch die Unterstützer im Westen spaltet: Soll der komplette Donbass wieder unter ukrainische Kontrolle geraten? Wie stark wird das Lager derjenigen sein (in Kiew und Washington vor allem), das eine Rückeroberung der Krim ebenfalls für realistisch hält? Und vor allem: Welchen Blutzoll ist die Ukraine bereit, für Mariupol zu opfern? Bei aller Fixierung auf Waffen und Geländegewinne: Jeder Krieg endet ausschließlich durch politischen Willen, durch die Bereitschaft der Kriegsparteien zum Stillstand. Über diesen Haltepunkt wird bisher nicht wirklich nachgedacht.

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