Süddeutsche Zeitung

Russland:Jeder Verweigerer ist ein Gewinn

Scharenweise fliehen junge Russen vor ihrer Einberufung. Diese Menschen haben Schutz verdient - und Asyl in der EU.

Kommentar von Gökalp Babayiğit

Rechtlich ist die Sache klar. "Politisch Verfolgte genießen Asylrecht." So präzise steht es in Artikel 16a des Grundgesetzes. Dass jene russischen Reservisten, die nach Putins Teilmobilmachung in Scharen ins Ausland flüchten, politisch Verfolgte sind, dürfte nur schwer zu widerlegen sein. Wer zuletzt in Moskau oder Sankt Petersburg gegen den erzwungenen Dienst an der Waffe demonstrierte, musste mit seiner Verhaftung rechnen - Hunderte landeten im Gefängnis. Wer sich weigert, an Putins völkerrechtswidrigem Krieg gegen die Ukraine teilzunehmen, verdient nicht zehn Jahre Haft, wie es der Föderationsrat per Gesetzesänderung festgelegt hat. Er verdient Schutz vor den Repressionen - und Asyl in der EU.

Dass dies alle demokratischen Parteien in Deutschland so sehen, ist eine erfreuliche Abwechslung zu den sonstigen Meinungsverschiedenheiten in der Frage, wie die Ukraine zu unterstützen und wie Russland zu schwächen sei. Laut Innenministerium ist die Entscheidungspraxis des Bundesamts für Migration bereits seit April so geändert, dass die Kriegsdienstverweigerung als Schutzgrund anerkannt wird. Auch Sicherheitsprüfungen finden richtigerweise statt.

Es spielt dabei keine Rolle, ob die Asylsuchenden immer schon offen Regimegegner waren - das wird für die wenigsten zutreffen - oder einfach nur ihre Haut retten wollen. Jeder Soldat, der sich nicht von Putin für diesen mörderischen Krieg missbrauchen lässt, ist ein Gewinn. Die EU sollte mit einem Willkommenssignal klarmachen: Neben Gefängnis und Einberufung gibt es für die russischen Reservisten eine dritte Option.

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