Süddeutsche Zeitung

COP26 in Glasgow:Nicht der Wille zählt, sondern die Vernunft

Lesezeit: 2 min

Am Ende des Gipfels ist das Klima nicht gerettet, doch immerhin ein Schuldiger gefunden: die Kohlekraft. Die Abschlusserklärung zeigt aber: Klimaschutz umzusetzen, ist Sache jedes einzelnen Industriestaats.

Kommentar von Michael Bauchmüller

Es steht eigentlich alles drin in der Abschlusserklärung zum Klimagipfel. Sie drückt "Alarm" aus, "äußerste Betroffenheit". Selbst ihre bislang maue Bilanz haben die knapp 200 Staaten in ihrem "Glasgower Klimapakt" in Text gemeißelt. Um tatsächlich die Erderwärmung auf 1,5 Grad Celsius zu begrenzen, verglichen mit Zeiten vor Beginn der Industrialisierung, müssten die Emissionen um 45 Prozent unter den Wert von 2010 sinken. Doch schon drei Absätze darunter ist die bittere Realität zu lesen: Nach allem, was sich die Staaten bisher vorgenommen haben, wird der Ausstoß von Treibhausgasen wachsen, statt zu schrumpfen - um fast 14 Prozent.

In der kollektiven Diagnose waren die Staaten stark in Glasgow. Bei der individuellen Therapie liegen die Dinge anders. Da verhalten sich manche große Staaten immer noch wie Impfgegner, die sich mit dem Geschehen auf den Intensivstationen nicht beschäftigen wollen.

Vieles Richtige steht in der Abschlusserklärung, auch deutlicher, als man es in früheren Dokumenten gelesen hat. Erstmals räumen die Staaten ein, dass sie sich schrittweise von der Kohle verabschieden müssen. Eigentlich eine Selbstverständlichkeit. In einer Welt aber, in der immer noch Kohlekraftwerke gebaut und geplant werden, ist das ein kleiner Schritt vorwärts - auch wenn China und Indien dagegen kämpften. Die Welt bewegt sich im Klimaschutz. Nur leider immer noch viel zu langsam.

Stimmt, Glasgow hat viele schöne Initiativen gesehen: zum Ausstieg aus der Kohle, aus dem Verbrennungsmotor, zum Kampf gegen Entwaldung. Alles richtig. Doch einen Wert bekommen all diese Bekenntnisse, all diese Beschlüsse nur, wenn Staaten sie umsetzen, wenn sie Teil einer konsequenten Klimapolitik werden. Auch die künftige Regierungskoalition in Deutschland wird rasch alle Instrumente scharfstellen müssen, die der Klimaschutz aufbietet: höhere CO2-Preise, ein rascher Ausbau erneuerbarer Energien, der schrittweise Abschied von fossiler Verbrennung aller Art - in Kraftwerken, unter Motorhauben, in Heizkellern und in der Schwerindustrie.

Eine Aufgabe für jedes Industrieland

Das ist keine Aufgabe, die Deutschland exklusiv hat - sie stellt sich für jedes Industrieland, und absehbar auch für die großen Schwellenländer. Dieser gemeinsame Angang in der Klimapolitik ist in Glasgow gestärkt worden. Die Bedingungen dafür sind klarer geworden. Und die Sache eilt.

Echter Klimaschutz verlangt einer Gesellschaft viel ab - aber letztlich ist er eine Frage nicht nur des Willens, sondern der Vernunft. Und schon jetzt ist klar: Ohne den Druck derer, die den Wandel wollen, ob aus der Wissenschaft, der Wirtschaft oder von denen, die freitags auf die Straße gehen, wird die Lücke nicht schrumpfen, rücken die 1,5 Grad nicht in Reichweite. Dieses Ziel wird nicht auf großen Gipfeln erreicht, sondern nur durch ganz reale Politik, ganz reale Investitionsentscheidungen, ganz reales Verhalten. Jeden Tag, überall.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.5463498
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.