Süddeutsche Zeitung

Japan:Das Land, das keiner sieht

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Es ist höchste Zeit, dass auch die Regierung in Tokio wieder Touristen ins Land lässt. Und zwar nicht nur aus wirtschaftlichen Gründen.

Kommentar von Thomas Hahn

Eine Reise nach Japan ist immer eine gute Idee. Menschen aus Europa führt sie in eine Welt, in der sich Exotik und Vertrautes, Tradition und Moderne zu einer sehr eigenen Atmosphäre verbinden. Und jetzt, da die meisten fernöstlichen Länder trotz andauernder Pandemie wieder offen sind, würde man auch gerne gleich einen Trip in Asiens einzigen G-7-Staat empfehlen. Geht aber nicht. Japans rechtskonservative Regierung findet es noch zu früh, ausländische Touristen ins Land zu lassen. Wer nur aus Interesse und Fernweh nach Japan kommen will, keinen Arbeitsauftrag, Wohnsitz oder Studienplatz dort hat, wird erst gar nicht ins Flugzeug gelassen.

Wann sich daran etwas ändert? Der Verlauf der Pandemie sei unvorhersehbar, hat der zuständige Minister Daishiro Yamagiwa vergangene Woche gesagt, "über den Zeitrahmen für die Erleichterung der Regeln sollte angemessen entschieden werden". Heißt: Es gibt noch keinen Plan.

Die Touristen auszusperren, war durchaus berechtigt. War!

Das muss sich ändern, denn die Verschlossenheit tut dem Land nicht gut. Natürlich, wenn es um die Corona-Abwehr geht, braucht sich Japan von außen nichts sagen zu lassen. Der Inselstaat hatte relativ wenige Fälle und Tote. Der wichtigste Grund dafür war wohl, dass Japans Kollektivgesellschaft grundsätzlich zu Vorsicht und wenig Widerstand neigt. Anders als etwa in Deutschland, hat man in Japan nie über Maskentragen oder Daheimbleiben streiten müssen. Es waren nicht einmal besonders strenge Regeln nötig - die Menschen gingen von sich aus kein Risiko ein. Mit zu vielen Ausländern hätte das nicht so gut geklappt. Der Touristen-Stopp seit April 2020 ist deshalb eine durchaus populäre Säule der japanischen Pandemie-Politik.

Aber mittlerweile sind sehr viele Menschen geimpft. Nach Stand der Dinge ist das Virus nicht mehr so bedrohlich. Und auch wenn Ballermann-Exzesse und Massen-Sightseeing dem Image des Tourismus geschadet haben - Reisen ist nicht nur ein hohler Spaß. Sondern ein Mittel der Kommunikation zwischen Kulturen. Es bildet Besuchende genauso wie Besuchte und weitet die Wahrnehmung von Welt. In der Not der Pandemie kann man sich die Ferne im Internet anschauen. Aber die Wahrheit ist: Online schmeckt und spürt man nichts. Echte Landschaften sehen aus wie virtuelle. Ein komplexes Land wie Japan versinkt in der Beliebigkeit des Medienkonsums, weil es eben nur ein paar Klicks sind vom Online-Auftritt des Friedensmuseums in Hiroshima, in dem es um den echten Atombombenabwurf der USA von 1945 geht, zum Actionfilm mit lautem Show-Geballer.

Wenn das so weitergeht, verschwindet das Land hinter all den Klischees

Japanische Regierungsberater aus der Wirtschaft haben schon gefordert, den Inselstaat schrittweise wieder für alle zu öffnen. Ihr Argument: Es kostet zu viel Geld, auf Gäste zu verzichten. Ein wichtiger Aspekt, in der Tat. Weil die Regierung keine klaren Aussagen trifft, müssen etwa Japans Skiorte davon ausgehen, dass sie auf den dritten Winter ohne Übersee-Urlauber zusteuern. Gastwirte können nur hoffen, nichts planen. Irgendwann haut das den stärksten Betrieb um.

Vor allem aber: Wenn das so weitergeht, setzt sich irgendwann in den Köpfen fest, dass Japan das Land ist, in das man nicht reisen kann. Dann könnte es auch bei offenen Grenzen schwierig werden, Fremde anzuziehen, die Japan sehen wollen. Und wenn Japan nicht mehr gesehen wird, verschwindet das Land immer mehr hinter Klischees und Vorurteilen. Das darf die Regierung in Tokio nicht zulassen.

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