Süddeutsche Zeitung

Regierungskrise:Italien ist gefangen von seinen alten Dämonen

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Der parteilose Premier Draghi steht vor dem Aus - es wäre ein kolossaler Verlust für Italien. Das Land droht in der Ungewissheit zu versinken.

Kommentar von Oliver Meiler

Das römische Sommerdrama erlebt Kapriolen in Serie. Im Senat, der kleineren Kammer des italienischen Parlaments, haben gleich drei Regierungsparteien Mario Draghi das Vertrauen verwehrt. Nun hat er die Konsequenz angedeutet und sich erneut zu Staatspräsident Sergio Mattarella begeben. Er wird ihm wohl erneut seinen Rücktritt ankündigen. Italien ist drauf und dran, Draghi zu verlieren. So müsste man das verstehen, wenn er stürzte - wie einen kolossalen Verlust im dümmsten Moment.

Mit Draghi hat Italien in den vergangenen siebzehn Monaten internationales Ansehen gewonnen. Wo er auch mitredete, er wurde gehört, Italien wurde gehört. Und alles hing an ihm, am Prestige und Curriculum des früheren Chefs der Europäischen Zentralbank.

Natürlich ist es nie gescheit, wenn so viel Gewicht an einer einzigen Persönlichkeit hängt, weder für den Träger selbst noch für das Land. Doch die Zeiten sind nun einmal schwierig, die Herausforderungen gigantisch, und in Europa ist Krieg. Wer mag da freiwillig auf die besten Hände verzichten?

Draghi regierte bisher wie ein Technokrat. Manchmal hätte etwas Diplomatie nicht geschadet. Zuweilen kam es den Parteien so vor, als wären sie nur da, um die Entscheidungen des Kabinetts abzunicken. Eine Weile lang war das kein Problem, Draghi setzte das Programm um: Er leitete eine erfolgreiche nationale Impfkampagne und legte einen Wiederaufbauplan vor, der auch die Europäische Union überzeugte. Und er stellte sich ohne Wenn und Aber an die Seite der Ukraine.

Doch je länger die Amtszeit andauerte und je näher die Parlamentswahlen rückten, desto nervöser wurden die Parteien. Vor allem die zwei Formationen, die zuletzt in den Umfragen viel Boden verloren: Cinque Stelle und Lega. Sie begannen, sich immer wieder zu distanzieren, um sich zu profilieren. Draghi hätte sie nun bei der Stange halten können, mit der einen oder anderen Geste vor den Wahlen. Doch das wäre nicht sein Stil gewesen, hätte nicht zu seinem Naturell gepasst. Italien aber droht in der Ungewissheit zu versinken, gefangen von seinen alten Dämonen.

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