Süddeutsche Zeitung

Isis in Syrien und Irak:Kalifat des Schreckens

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Isis pokert ziemlich hoch. Nach ihrem Siegeszug im Nordwesten des Irak hat die Miliz ein Kalifat ausgerufen. Das ist ein bombastischer Anspruch. Gut möglich, dass sich die Extremisten daran verheben.

Ein Kommentar von Sonja Zekri

Der Anspruch ist, das muss man ihnen lassen, ungeheuer. Die Isis-Milizen im Irak haben ihren Namen verkürzt, nennen sich nicht mehr "Islamischer Staat in Irak und Großsyrien", sondern nur noch "Islamischer Staat", denn sie haben - am ersten Tag des Ramadan - das Kalifat ausgerufen. Das Kalifat: jenen Gottesstaat, dessen letzte politische Variante mit dem Osmanischen Reich vor knapp 100 Jahren unterging, der dennoch Traum aller Islamisten und vieler Muslime geblieben ist. Das Kalifat verheißt die Rückkehr zu einer Idealgemeinschaft der Gläubigen aus der Frühzeit des Islam - einig, gerecht und stark, angeführt von einem Herrscher von Gottes Gnaden.

Die reale Schreckensherrschaft der Isis-Halsabschneider in Mossul oder Falludscha hat damit nichts zu tun. Gewiss, in der Propaganda, die die Ausrufung des Kalifats begleitet, fallen Kernbegriffe, die erlebnishungrige Joystick-Dschihadisten reizen: aufgehende Sonne des Dschihad, flatternde Fahne, zerschmetterte Ungläubige, Rache für erlittene Demütigungen. Jetzt, keinen Tag später, müsse das Kalifat ausgerufen werden, lässt der neue Kalif Ibrahim alias Isis-Führer Abu Bakr al-Bagdadi erklären. Und er fordert Gefolgschaft von 1,5 Milliarden Muslimen weltweit.

Was, wenn die Gefolgschaft ausbleibt?

Um es weltlich auszudrücken: Damit pokert er ziemlich hoch. Was, wenn das bombastische Kalifat militärische Rückschläge erleidet - in Tikrit oder Bakuba, gar in Mossul? Gebietsverluste für Dschihadis sind keine große Sache, eine Niederlage des Kalifats aber ist ideologisch das Aus. Was, wenn die Gefolgschaft ausbleibt? Ein Kalif mit umstrittener Legitimität, verstrickt in Hahnenkämpfe mit anderen Gläubigen, kann schnell zur Peinlichkeit werden.

Niemand weiß, ob und wie eng sich die Kalifen-Macher vor ihrer megalomanen Erklärung mit ihren derzeitigen Verbündeten im Irak verständigt haben. Dank der katastrophalen Politik der schiitisch dominierten Regierung in Bagdad fand der "Islamische Staat" die Unterstützung vieler Sunniten, der Stämme, der Sufis, der marginalisierten Saddam-Nostalgiker. Dass diese ihre eigenen Pläne aufgeben für die Unterwerfung unter eine neureiche Usurpatoren-Truppe mit globalen Zielen, ist auf lange Sicht schwer vorstellbar.

Es ist ja nicht einmal sicher, ob sich alle anderen Dschihadisten dem neuen Kalifen anschließen. Die Gotteskrieger-Szene - in Syrien konnte man das beobachten - ist ja nicht weniger zerklüftet als andere arabische Gemeinschaften. Nicht umsonst hat sich al-Qaida von den Isis-Parvenüs distanziert: Die dynamischen Emporkömmlinge lassen die einstigen Terror-Fürsten verkopft und entscheidungsschwach aussehen. Die Ausrufung des Kalifats ist für al-Qaida nicht nur eine Provokation - sie ist eine Kriegserklärung. Auch andere Konkurrenten bleiben gefährlich. Ein paar Einheiten der syrischen Nusra-Front, sonst bittere Rivalen der Isis-Kämpfer, sollen jüngst übergelaufen sein. Der Machtkampf dürfte damit aber nicht vorbei sein.

Das alles sind keine guten Nachrichten, denn es könnte in neue Fronten und neue Schlachten münden. Und dann gibt es ja auch noch die anderen, die jungen Männer in Jordanien, Saudi-Arabien, Gaza und Europa, fasziniert vom breitbeinigen Auftreten, der bürokratischen Ordnung und der Geschwindigkeit des scheinbar unaufhaltsamen Isis-Siegeszugs. Das Kalifat des Schreckens könnte ihnen einen weiteren pseudo-religiösen Grund geben.

Unter all diesen Unbekannten gibt es immerhin eine Gewissheit: Das größte Geschenk des Westens an den neuen Kalifen wäre eine militärische Intervention. Schon heute verbrennen schiitische Isis-Gegner amerikanische Flaggen. Ein Einmarsch oder auch zivile Drohnenopfer könnten jene Einigkeit herstellen, die Isis soeben beschworen - und aufs Spiel gesetzt hat.

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Quelle:
SZ vom 01.07.2014
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