Süddeutsche Zeitung

Europäische Union:Wer in Not ist

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Den Flüchtlingen aus der Ukraine kann schnell und unbürokratisch geholfen werden. Das aber darf keine Frage der Hautfarbe oder des Geburtsorts der Eltern sein.

Von Gökalp Babayiğit

Der Angriffskrieg Putins gegen die Ukraine wirft viele Fragen auf. Um die richtigen Antworten für die Sicherheits- und die Energiepolitik Europas wird noch lange gerungen werden. Was der Krieg und die Millionen zu erwartenden Flüchtlinge für die europäische Flüchtlingspolitik bedeuten, darauf hat die EU jedoch schnell eine gute, wenngleich nur vorübergehende Antwort gefunden.

Es ist die humanitäre Pflicht der Europäischen Union, den aus der Ukraine flüchtenden Menschen zu helfen. Punkt. Dieser Pflicht können die Mitgliedstaaten mit der gebotenen Schnelligkeit nachkommen, wenn sie den Mechanismus der "Massenzustrom-Richtlinie" zur Anwendung bringen. Mit der Richtlinie, die unter dem Eindruck der Jugoslawien-Kriege in den Neunzigerjahren geschaffen, aber noch nie genutzt wurde, kann die EU den Flüchtenden vorübergehenden Schutz gewähren. Sie erhalten dann einen sicheren Aufenthaltsstatus ohne kompliziertes Asylverfahren. Doch es schmälert seine Zustimmung in keiner Weise, wer darauf hinweist, dass diese Richtlinie auch schon vor sieben Jahren, auf dem Höhepunkt der Flüchtlingsbewegung aus Syrien, hätte genutzt werden können.

Polen und Ungarn tragen jetzt die Hauptlast - zuvor jedoch haben sie EU-Recht gebrochen

Polen und Ungarn tragen jetzt die Hauptlast, während sie 2015 mit ihrer Weigerung, Syrien-Flüchtlinge aufzunehmen, EU-Recht gebrochen haben. Dass sie sich in dieser Krise anders als damals solidarisch zeigen, ist richtig. Und: Es wäre damals auch schon richtig gewesen.

Dass sich Berichte darüber mehren, wie in der Ukraine lebende Flüchtlinge anderer Nationalitäten an der Grenze schlechter behandelt werden, zeigt: Der humanitäre Gedanke, der das tragende Fundament europäischen Handelns sein muss, gilt offenbar immer noch nicht allen.

Die entscheidende Frage in der Flüchtlingspolitik sollte immer lauten: "Bist du in Not?" Sie lautete - und lautet - viel zu oft: "Woher kommen deine Eltern?" Die Flüchtlinge, die noch immer in Moria festsitzen, wissen das.

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