Süddeutsche Zeitung

Volksabstimmung zur EU:Mauerfall in Dänemark

Lesezeit: 2 min

Das überwältigende Ja der Dänen zu einer gemeinsamen EU-Verteidigungspolitik ist historisch. Bei anderen Themen fehlt es dem Land noch an europäischem Gemeinsinn.

Kommentar von Kai Strittmatter

Und wieder hat Wladimir Putin den Kontinent ein Stück fester zusammengeschmiedet. Wer vorhergesagt hätte, dass ausgerechnet die Dänen einmal in einer Volksabstimmung ein europäisches Projekt mit mehr als zwei Drittel der Stimmen geradezu enthusiastisch umarmen würden, der wäre noch zu Jahresbeginn für verrückt erklärt worden.

Die Dänen? Das Volk, das sich in der EU fleißig einen Ruf als kühl-distanzierter Begleiter, manchmal auch Querulant erarbeitet hatte? Der Staat, der sich jahrzehntelang als einziger in der EU ausgeklinkt hatte aus der gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik? Jetzt aber reihen sie sich hier mit wehenden Fahnen ein und man liest in Politiken, der wichtigsten Zeitung des Landes, Titel wie diese: "Eine europäische Welle traf Dänemark und riss eine Mauer nieder."

Um eines klarzustellen: Liebe ist das noch lange nicht. Wohl aber darf man die Rückkehr der Vernunft konstatieren. Eine Vernunft, die die dänischen Alleingänge der vergangenen Jahre, und die bisweilen bizarre Symbolpolitik gerade in der Ausländerthematik mit oft EU-feindlichen Untertönen gelegentlich vermissen ließen. Misstrauen gegen die EU und Spott über sie gehörten lange zum guten Ton in Dänemark, Ausdruck wohl auch der Selbstvergewisserung eines stets um sein Wesen und seine Bedeutung fürchtenden kleinen Volkes. Bezeichnend, dass es des russischen Angriffskrieges bedurfte, um die Dänen an simple Wahrheiten zu erinnern wie jene, dass man "Russland mehr fürchten muss als Europa" - der Satz stammt von Mette Frederiksen, der Regierungschefin.

Ob die Regierung insgesamt geläutert ist? Das ist noch nicht ausgemacht

Das überwältigende Ja im Referendum ist ein Sieg für die Sache Europas, eine Ohrfeige für Putin. Es ist aber auch ein Triumph für Mette Frederiksen, sie ist die erste Premierministerin seit Jahrzehnten, die Dänemark tatsächlich näher an die EU heranführt. Das ist nicht ohne Ironie, denn in Sachen Europa wie auch anderswo sah es die vergangenen Jahre manchmal so aus, als habe die Sozialdemokratin Frederiksen sich ihr Handwerk bei den Rechtspopulisten abgeschaut: Sie machte immer wieder Stimmung, indem sie das Hinterland gegen die Städte ausspielte, die "einfachen Dänen" gegen die urbane Elite, Dänemark gegen Europa.

Ist die Kehrtwende in der Sicherheitspolitik, das Hin zu mehr Europa nun auch eine Läuterung von Frederiksen und ihrer Regierung? Das bleibt abzuwarten. Gemeinsame Verteidigung schön und gut - am Ende steht immer die Frage, was man da eigentlich verteidigt. Europäische Normen und Werte, oder? Gerade was seine Ausländer- und Flüchtlingspolitik anbelangt, schien Dänemark da zuletzt mehrfach vom Weg abgekommen zu sein. Gerade verfolgt Kopenhagen das erklärte Ziel "Null Asylbewerber auf dänischem Territorium" - Plan ist es, im Moment die Flüchtlingslager nach Ruanda auszulagern, zum Erstaunen und Entsetzen vieler in der EU. Ein europäischeres Dänemark hätte da noch einiges an Weg zurückzulegen.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.5596242
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.