Süddeutsche Zeitung

Präsidentenwahl:Ex-Präsident, Ex-Häftling - neue Hoffnung Brasiliens

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Luiz Inacio Lula da Silva will es noch einmal wissen und fordert bei der Wahl im Oktober Brasiliens Staatschef Jair Bolsonaro heraus.

Von Christoph Gurk

Selbst die größten Wahlkampfkampagnen leben manchmal von ganz kleinen Gesten. 2018, zum Beispiel, als Brasiliens Präsident Jair Bolsonaro noch ein radikaler Außenseiter war, stellte sich der ultra-rechte Politiker gerne auf Bühnen im ganzen Land, den Daumen erhoben und den Zeigefinger ausgestreckt, sodass die Hand eine Pistole formte. Manchmal schoss Bolsonaro dann auch noch imaginär in die Luft. Bumm! Bumm! Den Fans gefiel es, und am Ende gewann Bolsonaro die Wahlen.

Nun, am 2. Oktober, stehen wieder Wahlen an in Brasilien, und wieder wird die Hand mit dem ausgestreckten Zeigefinger und dem erhobenen Daumen eine Rolle spielen. Nicht, weil Bolsonaro aller Voraussicht nach wieder antritt, sondern weil man, wenn man die Hand einmal dreht und den Zeigefinger nach oben richtet, aus der Pistolengeste auch einen Buchstaben formen kann: Ein "L" - so wie in Luiz Inácio Lula da Silva.

Schon einmal hat der heute 76-Jährige sein Land regiert: Von 1. Januar 2003 bis zum 1. Januar 2011 war er Präsident von Brasilien. Rückblickend waren es goldene Jahre: Auf den weltweiten Rohstoffmärkten kletterte damals der Preis für brasilianisches Soja, Mais, Weizen, Fleisch, Öl und Gas in immer neue, schwindelerregende Höhen. Das Geld sprudelte, die Wirtschaft boomte, Brasilien wurde vom Schwellenland zum Land der Zukunft. Fußballweltmeisterschaft, olympische Spiele, Frieden in den Favelas: Alles schien möglich.

Ein höchst zweifelhafter Prozess

Viel Geld wurde damals in Sozialprogramme gesteckt, und tatsächlich schafften es Millionen Menschen aus der bittersten Armut. Gleichzeitig aber stopften sich korrupte Politiker auch ihre Taschen voll, nicht nur in Lulas Arbeiterpartei PT, dennoch aber eben auch dort. Als dann an den Rohstoffmärkten die Preise wieder sanken, spürte man das auch schnell in Brasilien - und die Wut richtete sich bald gegen Lula und seine Nachfolgerin Dilma Rousseff. Sie wurde in einem mehr als fragwürdigen Verfahren 2016 ihres Amtes enthoben, Lula dagegen in einem mindestens ebenso fragwürdigen Gerichtsprozess wegen Geldwäsche und Schmiergeldzahlungen verurteilt. Statt an den Wahlen 2018 teilzunehmen, die er wohl aller Voraussicht nach gewonnen hätte, landete Lula im Knast.

Auch wenn er prominente Unterstützung aus aller Welt und auch von Fans im eigenen Land bekam, so war es doch der Tiefpunkt einer ansonsten beispiellosen Karriere. Geboren als siebtes von acht Kindern einer Arbeiterfamilie, wuchs Lula in einer Industriestadt bei São Paulo auf. Das Geld war knapp, und schon als Kind musste er Geld verdienen: Schuhe putzen, Wäsche waschen, Botengänge erledigen, bis er einen Job in einer Stahlfabrik fand.

Damals, in den 70er-Jahren, herrschte in Brasilien eine brutale Militärdiktatur. Lula schloss sich dennoch der linken Gewerkschaftsbewegung an und wurde zu einem der Mitbegründer der Arbeiterpartei PT, für die er dann immer wieder bei den Präsidentenwahlen als Kandidat antrat.

Dass er dies nun noch einmal tut, hängt vor allem auch mit einem Mann zusammen: Jair Bolsonaro. Brasiliens aktueller Präsident hat in den Augen seiner Kritiker das Land an den Rand des Chaos gebracht. Der Amazonas brennt, die Wirtschaft stockt, auf den Gräbern der Hunderttausenden Covid-Opfer ist das Gras immer noch ganz frisch. Lula wird von seinen Fans nun gern zu einer Art Heilsbringer verklärt, steht er doch für die guten alten Zeiten, als Brasilien noch ein Wunder- und kein Krisenland war, dazu aber eben auch für ein Brasilien, in dem man nicht gegeneinander, sondern miteinander gekämpft hat, so stellt es zumindest der erste Wahlwerbespot dar: "Welches Brasilien willst du?", fragt da eine Stimme, "eines mit Hass - oder eines mit Liebe?" Dazu sieht man erst Bilder von zwei Händen, die eine zur Pistole geformt, die andere zum L: L wie Lula.

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