Süddeutsche Zeitung

Afghanistan:Null Zukunft

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Die Taliban machen Ernst damit, das Land in eine dunkle Vergangenheit zurückzuführen. Doch ihr schlimmster Feind sind sie selbst.

Kommentar von Tomas Avenarius

"Als Rektor der Universität von Kabul gebe ich mein Wort: Solange es kein durch und durch islamisches Umfeld im Land gibt, werden Frauen weder studieren noch an den Unis arbeiten. Islam first." So kurz und so bündig twitterte der neue Rektor der wichtigsten Universität Afghanistans die Frage vom Tisch, ob die Frauen des Landes studieren dürfen. Was das heißt, ist klar: null Zukunft - weder für die Afghaninnen noch für Afghanistan selbst.

Der sogenannte Rektor ist keiner, der etwas Eigenes zu sagen hätte im Kreis der Mächtigen unter den Taliban. Es genügt daher, ihn als den Herold seiner Herren wahrzunehmen. Als einer, der vorausgeht und unüberhörbar die Botschaft der Islamisten verkündet. Sein "Islam first" gibt einen bitteren Vorgeschmack darauf, wie die Taliban regieren werden: rückwärtsgewandt.

Seit nicht einmal zwei Monaten haben die einstigen Koranschüler wieder das Sagen in Afghanistan, zum zweiten Mal nach ihrer Terrorherrschaft zwischen 1996 und 2001. Man kann das achselzuckend als Irrläufer der Weltgeschichte wahrnehmen, als historisches Absurdum. Die Supermacht USA ist zermürbt und vertrieben worden von einer Truppe Sandalen und Badelatschen tragender Krieger, die aus den Koranschulen Pakistans oder aus ihren Dörfern irgendwo am Hindukusch in die Schlacht gezogen sind. Man kann es aber auch so betrachten wie die Taliban und ihre Anhänger: als zwingende, als gottgewollte Korrektur des Weltgeschehens, Afghanistan finde zurück zum reinen, zum wahren Islam.

Das Absurdum: Die Taliban verstehen ihre eigene Botschaft nicht

Wer da noch hofft, er könnte unter den neuen Machthabern eine politisch handlungsfähige Fraktion finden, mit der sich reden ließe in den Fragen der Frauenrechte, des Strafrechtkatalogs oder des Umganges mit ethnischen Minderheiten, der wird enttäuscht werden. Bei ihrem eigenen Islam-Verständnis gewähren die Taliban keinen Spielraum.

Das sagt weniger etwas über den Islam selbst aus als über ihren Umgang mit dieser Religion. Sie folgen der strikt wörtlichen Auslegung des koranischen Textes, den viele von ihnen gar nicht verstehen können, weil sie kaum Arabisch sprechen. Das - und nicht der Sieg über die USA - ist das eigentliche Absurdum an den Taliban: Sie verstehen ihre eigene Botschaft nicht.

Und diejenigen unter ihnen, die den Koran und die anderen Schriften verstehen könnten - also die wenigen theologisch wirklich profund ausgebildeten unter den zahllosen Taliban-Mullahs? Die wollen nicht. Weil sie "die Wahrheit" niemals infrage stellen, mögen sie auch nicht hören, dass Glaubensinhalte neu gedacht und mit der Moderne in Gleichklang gebracht werden können. Umso besser aber verstehen sie, dass ihr rigider Islam und das Verharren im überkommenen Wertesystem einer Stammesgesellschaft das geeignete Instrument der Machtausübung ist in einem Land, in dem 40 Jahre Krieg alles zerstört haben außer einem sehr einfachen, althergebrachten Religions- und Werteverständnis.

Ein Sieg der Vormoderne

Alles, was darin angeblich "dem Islam" widerspricht - Frauen an Unis, ein Nein zu Körperstrafen, ein vernünftiges Steuersystem als Grundlage von Staatlichkeit, Demokratie -, gilt ihnen als verwerflich. Und alles, was "dem Islam" und "der Scharia" vermeintlich entspricht, als gut: dem Mullah ohne Widerspruch und Zweifel folgen, die Frauen als Gebärmaschine im Haus einsperren, Dieben die Hände abhacken, den Dschihad weitertragen.

Am Ende ist es ernüchternd, aber einfach: Die Taliban sind vormodern. Der Talibanismus vertagt jede Zukunft ins Paradies. Wer die überschaubar kurze Zeit auf Erden gottgefällig verlebt, auf den wartet nach dem Gottesgericht die endlose Glückseligkeit.

Gesellschaftliche Experimente sind Versuchsanordnungen, die Strahlkraft entwickeln. So unverständlich, wie die gesellschaftspolitischen Vorstellungen der Taliban für jeden dem Projekt der Moderne verpflichteten Menschen sein müssen: In Länder wie etwa Pakistan, wo die Religion stark, die Regierung zutiefst korrupt, die Staatlichkeit schwach und der Bildungsgrad niedrig sind, hat der Sieg der Taliban Signalwirkung.

Experiment Rückwärtsgang

Es geht dabei nicht nur um Afghanistan. Es geht auch um die weiten Teile der islamischen Welt, die von der westlichen Moderne enttäuscht und von den inneren Widersprüchen und Ungerechtigkeiten ihrer eigenen Gesellschaften zermürbt sind.

Der internationalen Staatengemeinschaft bleibt vorerst nichts anderes übrig, als dem gesellschaftlichen Rückwärtsgang-Experiment am Hindukusch zuzusehen. Und zu hoffen, dass die Taliban scheitern werden an ihrer eigenen Unfähigkeit, die hungernde Bevölkerung zu versorgen und das Land zu verwalten. Der ärgste Feind der Islamisten sind nicht mehr die USA. Der ärgste Feind der Taliban sind jetzt die Taliban selbst. Das wenigstens macht Hoffnung.

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