Süddeutsche Zeitung

Thriller mit Nina Kunzendorf:ARD-Film "Das Programm": So sollte Fernsehen 2016 sein

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Banker Simon Dreher muss ins Zeugenschutzprogramm. Seine Gegnerin: eine LKA-Beamtin - gespielt von Ex-"Tatort"-Kommissarin Nina Kunzendorf.

TV-Kritik von Karoline Meta Beisel

Wie das wohl wäre, einfach zu verschwinden: keine Treffen, keine SMS, keine E-Mail an Freunde, Verwandte und Kollegen, und ohne auch nur ein Fitzelchen des alten Lebens bei sich zu tragen? Furchtbar muss das sein, aber dem Banker Simon Dreher bleibt keine Wahl: Ein Ganove hat es auf ihn abgesehen, weil er zu viel über dessen Geldwäschepraktiken weiß. Verschwinden ist die einzige Möglichkeit, sein Leben zu retten.

Das LKA bietet Dreher an, ihn und seine Familie in Das Programm aufzunehmen, das Zeugenschutzprogramm - neue Identität, neuer Wohnort, neuer Job. Schlosser in Drehers Fall, damit muss man auch erst einmal klarkommen, wenn man vorher in einem schicken Hamburger Büro saß mit Blick auf die Elbe.

Der ARD-Film Das Programm ist drei Stunden lang. Das geht, weil Frank Plasberg mit seiner Talkshow noch nicht aus den Ferien zurück ist. Zum Glück: Es wäre schade gewesen, die komplexe Geschichte in ein 90-Minuten-Schema zu pferchen. An zwei, drei Stellen hätte man die Geschichte vielleicht tatsächlich straffen können. Trotzdem ist Das Programm Fernsehen, wie man es 2016 hoffentlich noch häufig sieht. Jedes Mal, wenn der Fall gelöst zu sein scheint, legt das Drehbuch von Grimme-Preisträger Holger Karsten Schmidt einen neuen Aspekt, ein neues Geheimnis frei - wobei die Tatsache, dass Dreher (Benjamin Sadler) nicht bloß Opfer ist in diesem Spiel, noch das kleinste ist.

"Was soll ich damit?" - "Unterschreiben."

Drehers Gegenspieler ist dann auch nicht der mordende Ganove, sondern Ursula Thern, die Teamchefin des LKA. In fast schon kammerspielartigen Szenen (Regie: Till Endemann; Kamera: Michael Schreitel) versucht sie in dem klaustrophobisch engen und düsteren Haus, das die neue Heimat der Familie sein soll, die Wahrheit herauszufinden.

Nina Kunzendorf spielt diese Beamtin mit einer Professionalität, die den Klimawandel rückgängig machen könnte. In einer Szene besucht sie den Geliebten von Drehers Frau, die nämlich eigentlich andere Pläne hatte, als mit falscher Identität und dem Ehemann, den sie nicht mehr liebt, in einem Tiroler Kaff zu versauern. Sie muss dem ahnungslosen Segellehrer erklären, dass die beiden nie wieder Kontakt haben dürfen.

"Was ist das?", fragt der. "Das ist ein Vertrag zwischen Ihnen und der Bundesrepublik Deutschland." "Was soll ich damit?" "Unterschreiben."

Das Programm verwebt kunstvoll Thriller und Familiendrama, ist in einer Minute anrührend, wenn sich Drehers Tochter (Paula Kalenberg) von ihrem schlafenden Verlobten verabschiedet, und gleich darauf wieder extrem spannend: Am Ende traut man nicht mal mehr den Schafen auf der Weide.

Das Programm , ARD, 20.15 Uhr.

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Quelle:
SZ vom 04.01.2016
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