Süddeutsche Zeitung

"Tatort" aus Hamburg:Ludo lässt grüßen

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Von Claudia Tieschky

Dieser Hamburger Tatort, der ein Til-Schweiger- Tatort ist, fühlt sich erst einmal sehr seltsam an. Es ist ungefähr so, als würde man auf eine Live-Übertragung aus einer Mucki-Bude mit schwerem Sound warten und stattdessen gibt es Yoga. Die Frage ist natürlich, wer sich eine Live-Übertragung aus der Mucki-Bude anschaut, womit man irgendwie beim Action-Problem der fünf bisherigen Hamburger Schweiger- Tatorte ist, gegen die James Bond ganz schön abgeschmiert wäre, wenn sie in England nicht so aufgepasst hätten.

Jetzt jedenfalls sitzt Nick Tschiller maximal entschleunigt auf der winterrauen Insel Neuwerk an der Außenelbe. Im Heim einer wirklich rührend idealistischen Sozialpädagogin wartet er auf sein Disziplinarverfahren und betreut mit ihr Jugendliche, die mehr erlebt haben, als sie verkraften. Was man von Tschiller ja auch sagen könnte. Überhaupt ist in dieser Episode mit dem Titel "Tschill out" nicht ganz klar, wer eigentlich wessen Erzieher ist. Auf jeden Fall ist es eine Folge, die fast ganz ohne Ballerei, ohne die "Russen", die "Clans", ohne Geiselnahme in der Tagesschau-Redaktion und ohne Helene Fischer auskommen muss. Ohne das ganze Spielzeug. Alle Beteiligten hatten lange vorab von "Neuanfang" gesprochen, nachdem die TV-Ausstrahlung des Kino- Tatorts "Tschiller: Off Duty" an einem WM-spielfreien Tag im Fußball-Sommer nicht so wahnsinnig toll lief. Statt Nacht und Blaulicht nun also Tag und Kinder. Tschiller schließt jetzt gewissermaßen da an, wo der Ludo in Keinohrhasen aufgehört hat. Das ist nicht tschillen, wie der Titel nahe legt, das ist Entzug.

Tags schweigt Schweiger viel in den Wind, nachts plagen ihn Panik-Attacken. Inszeniert hat das statt dem bisherigen Team (Regie Christian Alvart, Buch Christoph Darnstädt) ein Spezialist für gedeckte, aber feine Töne im Fernsehen: Regisseur Eoin Moore, der zusammen mit Anika Wangard auch das Buch geschrieben hat. Die beiden sind die Erfinder des Rostocker Polizeirufs 110.

Die Handlung? Ein zarter Faden, der sich durch viel graugrüne Graslandschaft zieht, Deich rauf, Deich runter, und die adrenalingetränkte Vergangenheit Tschillers mit seiner Zukunft verbindet, wo immer die liegen mag. Man weiß es nicht. Er weiß es nicht. Ist das jetzt gut oder schlecht?

Das Gute ist schon sehr wichtig, denn gut sind in diesem Film eigentlich alle, bis auf die paar Bösen. Gut ist, dass die Figur von Tschillers Partner Yalcin Gümer (Fahri Yardim) mehr Platz bekommt. Richtig gut aber ist Laura Tonke als achtsame Erzieherin mit dem schönen Namen Patti Schmidt, die sich auch ein bisschen um Tschillers Seele kümmert. Sie trägt eine große runde Brille, Overall und Streifenshirt und lebt in einer Welt, in der vielleicht wirklich alles repariert und wieder gut werden kann.

Das Erste, Sonntag, 20.15 Uhr.

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Quelle:
SZ vom 04.01.2020
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