Süddeutsche Zeitung

"Tatort" aus München:Rotkäppchen und die Kommissare

Lesezeit: 2 min

Der Münchner "Tatort" stellt die melancholische Seite des Faschings aus, nimmt sich aber zu viel vor.

Von Holger Gertz

Fasching und Karneval zählen zu den besonders liebevoll ausgeleuchteten Phänomenen im Tatort. Kein Wunder: Das Freundliche und das Böse berühren sich da. Ein Mensch, der sich verkleidet, will Spaß haben - oder er will unerkannt etwas Unerlaubtes tun. Der Karneval schwebt, er ist ergebnisoffen. Man kann sich, wenn man in einem Film den Karneval umtanzt, zugleich von ihm distanzieren. Unvergessen eine Szene aus Münster, die in der Vorhölle angesiedelt war: Dort, in der Vorhölle, liefen ununterbrochen Karnevalssendungen im Fernsehen.

Die Münchner Folge "Kehraus" von Christine Hartmann (Buch Stefan Betz und Stefan Holtz) stellt die melancholische Seite des Münchner Faschings in den Mittelpunkt, und die schmerzlindernde Wirkung jeder Verkleidung. Denn auch jemand, an dem das Leben längst vorbeidefiliert ist, kann noch mal den alten Fummel von früher rausholen und sich als Rotkäppchen oder Prinzessin verkleiden, dann ist es fast wie damals, dann ist er fast wieder jung. Dann hält er fast die Zeit an. So macht es Silke Weinzierl (Nina Proll), die Hauptfigur dieser Geschichte. Familie kaputt, beruflich gescheitert, Wohnung weg, von der letzten Geschäftsidee sind nur noch die Verpackungen übrig, auf denen "Wurst Star" steht. Aber im Fasching lässt Silke Weinzierl es als Rotkäppchen in "Irmis Stüberl" noch mal krachen bis zur Besinnungslosigkeit. Leider wird ein toter Mann gefunden, ein Goldhändler, mit dem das Rotkäppchen Berührungspunkte hatte, die Kommissare nehmen ihre Ermittlungen auf.

Aus den Dialogen alter Ermittler lässt sich die unverkleidete Lage der Gegenwart lernen

Das Stück lebt sehr vom präzisen Spiel der Nina Proll als Überlebenskämpferin Weinzierl, deren Schicksal noch mehr Raum hätte bekommen können. Stattdessen wird aber unter anderem eine Geldwäsche-Geschichte in die Handlung gepackt, und damit gehört dieser Tatort dann doch zu den Episoden, die sich zu viel vornehmen, er will Psychogramm und Milieustudio und harter Thriller und leichte Lokalkomödie sein. Für Letzteres sind die Kommissare Batic (Miroslav Nemec) und Leitmayr (Udo Wachtveitl) zuständig, neben dem Rotkäppchen sind sie es, die das Stück veredeln. Hübsch, wie Leitmayr beim Goldhändler auf leeren Glasbehältern rumklopft und auf diese Weise "Smoke on the water" nachspielt. Aber Batic bleibt unbeeindruckt: "Klingt eher nach Almabtrieb." Überhaupt, man lerne aus den Dialogen alter Kommissare alles über die komplett unverkleidete Stimmungslage der Gegenwart. Wie sagt es Ivo Batic: "Die Welt geht unter, Franz. Noch nicht gehört?"

Das Erste, Sonntag, 20.15 Uhr.

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