Süddeutsche Zeitung

"Tatort" Hannover:Ohne Herz und Hose

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Charlotte Lindholm ermittelt bei der Luftwaffe, in der alle von der Fliegerei schwärmen. Für eine halbe Stunde würde die Story locker ausreichen - wäre da nicht Kai Diekmann.

Von Holger Gertz

Diese Episode vom NDR fängt damit an, dass eine junge Frau auf einen Feldweg pinkelt, danach zieht sie ihre Unterhose nicht hoch, sondern aus. Da weiß das Publikum gleich: böses Mädchen! Wenig später fällt das Mädchen tot aus der Luke eines Dachbodens, es stellt sich heraus, dass es gleichzeitig die Freundin verschiedener Männer war.

LKA-Ermittlerin Charlotte Lindholm (Maria Furtwängler) muss aufklären, wessen Gefühle da verletzt worden sind, und welcher sinnlos Liebende in die Raserei getrieben worden ist. Ein Eifersuchtsdrama, das man in einer halben Stunde schlank hätte runtererzählen können, mit einem Werbeblock dazwischen: das Richtige für einen Vorabend.

Reklame für Luftwaffeln

Der Tatort "Spielverderber" dauert aber leider dreimal so lang, und Regisseur Hartmut Schoen füllt die Restzeit, indem er die Handlung auf einen Fliegerhorst verlagert, dort warten Menschen von der Luftwaffe, die einerseits innerlich beschwert sind von Einsätzen in Afghanistan, andererseits aber von den Verlockungen der Fliegerei schwelgen und schwärmen. Das klingt so flockig, als würde von der Luftwaffe Reklame für Luftwaffeln gemacht, der Werbeblock ist Teil der Handlung. "Ich liebe es, wenn die Maschinen nachts hier runterdonnern, mit Höllenlärm, die Erde bebt. Dafür lebe ich", schnurrt ein Oberst, der dann sogar mit der Kommissarin anbandelt. Also, er sagt: "Küssen?", und Frau Lindholm geht auf das bündig vorgetragene Angebot gern ein, weil in der Gegenwart von Fliegern ja jeder total crazy Dinge tut.

Bemerkenswert, wie dreist hier das große Thema Trauma über eine Story gestülpt wird, die schon hundertmal so erzählt worden ist. Die Eifersuchtsgeschichte hätten sie genauso gut in einem Lehrerzimmer oder in einer Hundeschule ansiedeln können, stattdessen wird eine banale Handlung aufgemotzt. Aber das Motiv Flug ist zugleich Fluch, wenn gegen Ende Sätze wie diese vorgebracht werden: "Sie kennen doch den Song 'Somewhere over the rainbow'. Da wollte ich immer hin, somewhere over the rainbow. Deshalb bin ich zur Luftwaffe gegangen."

Wie vielfach angekündigt, spielt der Bild-Chef eine ausgeweidete Leiche, thematisch durchaus passend sieht er unterhalb der Brustwarzen so aus, als wäre er in ein gewaltiges Waffeleisen geraten. Kai Diekmann ohne Herz und eine Frau ohne Hose sind die Highlights eines Tatorts, den man vergessen kann.

ARD, Sonntag, 20.15 Uhr.

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Quelle:
SZ vom 21.11.2015
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