Süddeutsche Zeitung

"Tatort" aus Frankfurt:Die Hessen kommen

Lesezeit: 2 min

Pinkelnde Cowboys und Polit-Mystery: "Erbarmen" ist ein Männer-Tatort, der keine halben Sachen kennt. Erschreckend faszinierend.

Von Claudia Tieschky

Der todschicke ARD-Warnhinweis zu diesem Tatort müsste lauten: Andauernde Dunkelheit kann Verunsicherung hervorrufen. Gilt im übertragenen, vor allem aber im buchstäblichen Sinn. Der Fall mit dem Titel des albernen Hits "Erbarmen. Zu spät." ("Die Hessen kommen") zieht sich auf den Herbstäckern der Wetterau lichtarm durch eine ganze Nacht. Es ist hell genug, um zu erkennen, dass wirklich sehr viele Männer in abgewetzten Jacken vorkommen. Männer, die sich beim Nachnamen anreden und rauchen, außer wenn sie gerade die Hand nicht frei haben, weil sie schon wieder auf den Acker pinkeln müssen.

Es beginnt mit einem Trennungsgespräch über heruntergelassene Autofenster hinweg. "Es geht einfach nicht mehr", sagt der Polizist Laby, man sieht ihn Angst schlucken. "Und jetzt?", fragt beinahe gütig der Mann im anderen Polizeiauto. Neben ihm sitzt ein Fremder, der aussieht wie der Tod. Dazu der Synthesizer-Sound von Dallas Acid aus Austin.

Selten werden alle Sonntags-Erwartungen an einen "Tatort" so stilsicher unterlaufen

Die unterwanderte Polizei als Tatort-Thema ist inzwischen sterbenslangweilig. Hier nicht. "Erbarmen" ist auch deshalb bemerkenswert, weil der im vorigen Jahr produzierte Tatort der erste war, den der HR nicht inhouse herstellte - lange ein Alleinstellungsmerkmal des Senders, der für den besonderen Film bekannt ist -, sondern als Auftrag vergab. Der Episode merkt man die Veränderung nicht wirklich an, sie ist sogar verschärft HR-like. Janneke (Margarita Broich) und Brix (Wolfram Koch) müssen durch einen sogenannten experimentellen Tatort, was bedeutet, dass alle Sonntags-Erwartungen unterlaufen werden. Selten geschieht das so stilsicher.

Janneke bleibt etwas im Hintergrund, vermutlich weil sie wesensmäßig eine viel zu helle Person für dieses Setting ist. Brix darf mit den anderen herummännern, Gruppenzwang ist schon deshalb, weil er gerade keinen Führerschein hat. Sie sind unter Hochdruck auf der Suche: Schilling, der Mann, der aussieht wie der Tod, hat sich gestellt und behauptet, ein Polizist sei in der Wetterau umgebracht worden. Wo, da ist sich Schilling leider nicht mehr sicher, ein Acker halt.

Nicht alles an der Handlung lässt sich ganz verstehen, als special effect fällt ab und zu ein Lichtkegel vom Himmel, mehr hell als einleuchtend. Eines aber kann man der Episode von Bastian Günther (Buch und Regie) mit der fantastischen Kamera von Michael Kotschi nicht vorwerfen: dass sie stimmungsarm wäre.

Am Schluss wird es dann richtig, richtig abgefahren - nennen wir es Polit-Mystery -, aber wer so einen Film hinstellt, lässt sich auch nicht auf halbe Sachen ein.

Das Erste, Sonntag, 20.15 Uhr.

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