Süddeutsche Zeitung

Tatort aus Weimar "Der irre Iwan":Latte diabolo

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In etlichen "Tatorten" ist das ernst gemeint, was hier Parodie ist: das Checkertum der Ermittler, Résumés im Dienstfahrzeug, Computertechnologie. Nora Tschirner und Christian Ulmen garnieren das mit Dialogwitz und Situationskomik. Sie spielen keine Rollen - sie spielen.

Von Holger Gertz

Schon ziemlich lässig, wie Christian Ulmen und Nora Tschirner als Weimarer Ermittler Lessing und Kira Dorn beiläufig ein Genre persiflieren, dessen Teil sie selbst sind. Als modern gilt im Tatort zum Beispiel die Regieidee, Verhörsequenzen bruchlos aneinanderzuschneiden, das gaukelt eine Rasanz vor, die dem Format in Wahrheit komplett fehlt.

In Weimar werden die Zeugenaussagen auch schnell aneinandergehängt, das erzeugt aber keine falsche Spannung, sondern gibt den Blick frei auf die sonst oft so unfreiwillige Komik des ewigen Krimigeschwafels: "Sein linkes Bein war kürzer. Ich seh' sowas, ich bin nämlich Orthopädiemechaniker, wissen Sie", sagt ein Mann.

Goldfischglas zerlegt, Sitzball plattgemacht

Ein Mensch hat durch eine Zimmerdecke geschossen und eine Frau im Stockwerk darüber gekillt und gleichzeitig auch noch ihr Goldfischglas zerlegt und ihren Sitzball plattgemacht. Lessing begeht den Tatort, er braucht nur Sekunden, um die Zusammenhänge zu erfassen. "Warum schießt der Täter fünfmal in die Decke, und wieso gehen die Kugeln glatt durch?"

In etlichen Tatorten ist das ernst gemeint, was hier Parodie ist. Das Checkertum der Ermittler. Die resümierenden Gespräche im Dienstfahrzeug. Der Einsatz von abenteuerlicher Computertechnologie. Die bedeutungsschwanger blickenden Gesichter in Nahaufnahme. Die ganze Wichtigtuerei. "Der Irre Iwan" legt sämtliche Versatzstücke bloß, aus denen jeder Gebrauchskrimi zusammengezimmert ist. Und er verfügt über eine Beigabe, die den anderen Gebrauchsparodien von Gebrauchskrimis fehlt: Dialogwitz, und Situationskomik. Die Sekretärin? Glaubt, Outlook sei ein Teil von Australien. Es gibt einen Polizisten, der mit einem Strohhalm ein rüsselndes und dabei fast bedrohliches Geräusch machen kann. Gefühliger Höhepunkt: ein Mann, verkleidet als Känguru, auf das Kunstrosenblätter regnen.

Der Neujahrs-Tatort aus Weimar ist bekennend gaga und bestimmt nichts für Puristen, aber die Ideen sind herrlich, und Tschirner und Ulmen halten das Ganze zusammen, sie wirken so wurschtig und schnoddrig und unangestrengt, sie spielen keine Rollen. Sie spielen.

ARD, Neujahr, 20.15 Uhr.

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Quelle:
SZ vom 31.12.2014
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