Süddeutsche Zeitung

Russlands Internetgesetz:"Direkte Kritik an der Regierung wird de facto verboten"

Lesezeit: 3 min

Die freie Meinungsäußerung im Internet ist in Russland schon seit Jahren eingeschränkt. Ein neues Gesetz erleichtert jetzt staatliche Zensur. Denis Krivosheev von Amnesty International ist besorgt.

Interview von Paul Katzenberger, Moskau

Russische Behörden sollen künftig Onlinemedien sperren dürfen, wenn diese Meldungen verbreiten, die ihrer Meinung nach nicht der Wahrheit entsprechen oder die Staatsgewalt, Hoheitszeichen sowie die russische Gesellschaft "beleidigen". Das sieht ein Gesetz vor, das die Duma vergangene Woche verabschiedet hat. Denis Krivosheev, Forschungsdirektor bei Amnesty International mit Zuständigkeit für Osteuropa und Zentralasien, kritisiert, dass das Gesetz der russischen Regierung ermöglicht, jegliche Kritik an ihr zu unterbinden.

SZ: Warum hält die Duma es für notwendig, noch ein Gesetz in Bezug auf Nachrichten zu beschließen, die aus Sicht der russischen Regierung unrichtig sind? Bereits seit 2012 führt die russische Medienaufsicht Roskomnadzor auf einer "Schwarzen Liste" Internetportale, die auf unzulässige Weise Kritik an den Behörden ausüben - und blockiert sie auch.

Denis Krivosheev: Das neue Gesetz gibt Roskomnadzor wesentlich größere Befugnisse, die Sperrung von Internetseiten zu veranlassen. Vorher galt die Regel, dass ein strafrechtlich relevanter Verstoß als Begründung herangezogen werden musste, um eine Seite zu blockieren. Das neue Gesetz geht einen deutlichen Schritt weiter: Direkte Kritik an der Regierung wird jetzt de facto verboten.

Die Duma hat das neue Internetgesetz in der dritten Lesung gegenüber der ersten Lesung im Januar etwas entschärft. Es gibt nun eine Frist, die es dem Betreiber einer Internetseite ermöglicht, die beanstandeten Meldungen zu entfernen, um damit straffrei zu bleiben. Wie erklärt sich das aus Ihrer Sicht?

Vielleicht bestand tatsächlich die Absicht, dem neuen Gesetz einen weniger drakonischen Anstrich zu geben. Es kann aber auch sein, dass einige moderate Duma-Abgeordnete Einwände erhoben haben, und dann hinter den Kulissen ein entschärfter Kompromiss erzielt wurde. Im Endeffekt ist das aber nicht viel mehr als eine Schönheitskorrektur, die weit weniger ins Gewicht fällt als andere Änderungen.

Von welchen Änderungen sprechen Sie?

In der abschließenden Lesung wurden die Bußgelder im Vergleich zum ersten Gesetzesvorschlag massiv erhöht. Am Anfang bewegten sie sich im Bereich von umgerechnet maximal einigen hundert Euro, nun geht es um Tausende Euro.

Wer steckt hinter den Bemühungen, die Gesetzgebung zum Internet zu verschärfen? Ist es Wladimir Putin und seine Präsidialverwaltung im Kreml oder die Duma selbst?

Das weiß von außen niemand so genau. Es ist ein offenes Geheimnis, dass der Kreml eine wesentliche Rolle dabei spielt, welche Gesetzesvorhaben in die Duma eingebracht werden, und welche Gesetze schließlich in Kraft treten. Allerdings beobachten wir in der Duma oft Kräfte und Protagonisten, die sogar noch radikalere Maßnahmen befürworten, als sie der Kreml unterstützt. Prinzipiell kann man sagen, dass sich der Präsident und die Mehrheit der Duma-Abgeordneten einig darin sind, die Möglichkeiten zur Kritik an der Staatsmacht so weit wie möglich einzuschränken.

Woran liegt das?

Ganz allgemein wächst die Unzufriedenheit der Russen mit der Staatsspitze. Das äußert sich in zunehmender Kritik, zumal auch mehr Informationen über den Machtmissbrauch der politischen Elite verfügbar sind, also zum Beispiel Korruption.

Es gibt viele Indizien, dass Russland Cyber-Methoden genutzt hat, um etwa die US-Präsidentschaftswahlen 2016 zu beeinflussen . Russland muss also damit rechnen, im Rahmen eines Cyberkrieges angegriffen zu werden. Ist es da nicht auch nachvollziehbar, den Umgang mit gezielten Falschinformationen gesetzlich zu regulieren?

Es kann legitim sein, dass Regierungen den Zugang zu Informationen einschränken. Das ist allerdings nur unter den sehr strengen Bedingungen der Fall, die das Völkerrecht benennt. Zum Beispiel also, wenn durch Falschinformationen die nationale Sicherheit eines Landes bedroht ist. Doch die scharfe Ahndung von Falschinformationen im neuen russischen Gesetz reicht weit über die reine Abwendung von Gefahren hinaus. Der freie Zugang zu Informationen ist ein fundamentales Prinzip, und das bedeutet, dass nicht jede Information, die falsch ist, verboten werden darf.

In der Duma liegt derzeit auch ein Gesetzesvorschlag, wonach das russische Internet vom World Wide Web abgekoppelt werden soll. Würde das bedeuten, dass die Russen nur noch eine Version des Internets nutzen könnten, die von der Regierung zensiert wird?

Ich beobachte das mit großer Sorge. Denn hinter diesem Plan steht ja eindeutig die Idee, das Internet in derselben Weise kontrollieren zu können, wie es bereits bei Printmedien und im Rundfunk in Russland geschieht. Doch Experten, die sich mit der technischen Seite des Internets besser auskennen als ich, sagen mir, dass es sehr schwierig sein wird, dieses Gesetzesvorhaben technologisch umzusetzen.

Russland lässt sich von China in Sachen Internetzensur beraten - was kann sich das Land da abschauen?

China hat die Nutzung des Internets für seine Bürger tatsächlich sehr eingeschränkt: Manche Seiten des Word Wide Web können dort nicht aufgerufen werden. Suchmaschinen werden kontrolliert und müssen sich den Auflagen der Behörden beugen. Doch was Russland vorhat, geht über solche Einschränkungen hinaus. Es geht wirklich darum, das russische Internet aus dem weltweiten Netz herauszunehmen. Wenn das technologisch gelingen sollte, wäre das wirklich ein Desaster für die freie Meinungsäußerung in Russland.

Würde eine solche Bevormundung nicht den massiven Widerstand der Bürger provozieren?

In den vergangenen Jahren wurden die Bürger- und Menschenrechte in Russland an vielen Stellen empfindlich eingeschränkt, und das hätte aus meiner Sicht jeweils einen öffentlichen Aufschrei auslösen müssen, der aber stets ausblieb. Vor diesem Hintergrund muss ich leider annehmen, dass selbst ein solcher Eingriff keinen Widerstand in der Bevölkerung hervorrufen würde, der ausreichend wäre, die Behörden davon abzuhalten. Ich würde mich freuen, wenn ich da falsch läge.

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