Süddeutsche Zeitung

Fall Yücel:"Wer sagt, dass ein weißer, deutscher Journalist automatisch neutral ist?"

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Der Fall des inhaftierten "Welt"-Korrespondenten Deniz Yücel hat eine Debatte darüber ausgelöst, ob Migranten über ihre Herkunftsländer schreiben sollten. Kommt darauf an, sagt die indo-deutsche Journalistin Sheila Mysorekar.

Interview von Ralf Wiegand

Deniz Yücel, der Türkei-Korrespondent der Tageszeitung Die Welt, wird immer noch in der Türkei festgehalten, weil ihm unter anderem die Unterstützung einer terroristischen Vereinigung vorgeworfen wird. Derweil ist in Deutschland eine unerwartete Diskussion unter Medienschaffenden entbrannt. Ausgelöst hat sie ein Kommentar in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung, der die Frage aufwarf, ob es generell besonders klug sei, einen türkischstämmigen Journalisten in die Türkei zu entsenden - einen Türken als "Türkei-Erklärer". Beim Spiegel fand man den Text "infam", ein Zeit-Redakteur las "Niedertracht" heraus. FAZ-Korrespondent Michael Martens verteidigte seinen Kommentar in einem Interview: Natürlich habe Yücel Solidarität und Unterstützung verdient. Die Debatte über die Aufgaben von Journalisten mit Migrationshintergrund ist aber entfacht.

Im vergangenen Dezember nahm Deniz Yücel an einer Podiumsdiskussion der Bundeskonferenz der Neuen deutschen Medienmacher (NDM) teil, einem unabhängigen Zusammenschluss von Journalistinnen und Journalisten mit und ohne Migrationshintergrund. Sheila Mysorekar ist Vorsitzende des NDM.

SZ: Frau Mysorekar, in Ihrer Organisation sind eine ganze Menge Journalisten mit ausländischen Wurzeln versammelt. Reduzieren deutsche Medienhäuser ihre Journalisten mit Migrationshintergrund auf ihre Herkunft?

Mysorekar: Es gibt zwei Extreme, die wir immer wieder in Redaktionen finden. Entweder werden sie genau darauf reduziert: Du musst dich doch mit Migration auskennen, du bist doch - zum Beispiel - türkisch-deutsch. Auf der anderen Seite gibt es die genau gegenteilige Meinung, dass sie gerade nicht darüber schreiben sollten, weil sie nicht neutral wären. Beides ist absurd.

Warum?

Migration oder Integration sind Fachgebiete. Man muss sich damit auskennen, das tut man nicht einfach, weil man türkische Eltern hat. Und wer sagt eigentlich, dass ein weißer, deutscher Journalist automatisch neutral ist, wenn er über diese Themen spricht? Im Fall von Deniz Yücel muss man übrigens wirklich darauf hinweisen: Selbst wenn er außer dem deutschen auch einen türkischen Pass hat und aus einer Einwandererfamilie kommt, er ist dennoch ein deutscher Journalist. Er ist hier geboren, hier sozialisiert, hier ausgebildet. Das kann man ihm nicht einfach absprechen.

Warum wird ihm und anderen das Ihrer Meinung nach abgesprochen?

Wenn jemand eine Migrationsgeschichte hat und mit dem Land zu tun hat, in das er geschickt wird, wird er oft automatisch nur noch als Bürger dieses Landes gesehen. Unterschwellig klingt die Frage mit, ob diese Journalisten nicht eigentlich türkische Journalisten sind - was ihnen abspricht, professionell zu sein. Dagegen wehren wir uns sehr. Deniz Yücel ist einfach ein professioneller Journalist, und es ist ein Glück für seine Zeitung, dass seine Eltern eine Migrationsgeschichte haben und er gut türkisch kann.

Sie selbst sind im Rheinland geboren, haben viel im Ausland gearbeitet, etwa als freie Korrespondentin für die ARD in Argentinien. Mit welcher Erfahrung?

Ich bin Indo-Deutsche, von meinem Äußeren her falle ich in Nordafrika genauso wenig auf wie in Südamerika. Ich habe in Afghanistan gearbeitet, war sehr oft in Libyen, in Kolumbien. Ich kann mich da frei auf der Straße bewegen, ohne kontrolliert zu werden. Das ist ein riesiger Vorteil. Man kriegt ganz andere Reportagen. Multikulturelle Kompetenzen von Journalisten darf man nutzen. Unsinn ist allerdings, wenn jeder, der Migrationshintergrund hat, Migrationsthemen bearbeiten muss, ob er will oder nicht - und ob er es kann oder nicht.

Wie verändern solche Kolleginnen und Kollegen die Redaktionen? Bringen sie "ihre" Themen mit?

Sie verändern eher, wie berichtet wird. Migration ist ohnehin ein gigantisches Thema in diesem Land, über das ständig geredet wird. Die Frage ist nur, wie, und ob da nicht immer nur Stereotype wiederholt werden. Wenn man eine Redaktion hat, in der sich die Vielfalt der Gesellschaft widerspiegelt, sagt eher mal einer: He, Leute, so geht das nicht. Das sollte aber nicht nur bei Themen wie Integration oder Islam so sein, sondern auch in der Wirtschaft, im Sport, in der Kultur. Jeder Fünfte in diesem Land hat Migrationshintergrund, aber nur jeder fünfzigste Journalist. Redaktionen sollten die Gesellschaft als Ganzes abbilden, sonst fehlen ihnen bestimmte Perspektiven.

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