Süddeutsche Zeitung

Nachlese zum "Tatort" Münster:Liebeswahn im Liebesschwan

Lesezeit: 4 min

Thiel und Boerne in der Klapse - damit ist eigentlich schon alles gesagt. Die Nachlese zur erfolgreichsten "Tatort"-Folge seit 1992.

Von Johanna Bruckner

Darum geht es:

Um Wasser, Wahnsinn und Steuerbetrug. In einer Psychiatrie mit dem wohlklingenden Namen "Haus Schwanensee" wird eine Patientin tot aufgefunden. Mona Lux liegt mit Gewichten beschwert am Boden des Pools der Nervenheilanstalt, die allerdings mehr Ähnlichkeit mit einem Ayurveda-Center hat. Dazu passend spricht der Klinikleiter auch lieber von Besuchern, nicht von Patienten. Kommissar Thiel und Gerichtsmediziner Boerne passen so gut in diesen wahnwitzigen Rahmen, dass die weitere Handlung der Episode "Schwanensee" eigentlich egal ist. Verdächtige gibt es in der "Klapse" (O-Ton Thiel) ohnehin genug. Erst im letzten Drittel zieht die Handlung an: Ist Mona wirklich Mona? Eine Auftragskillerin? Oder verdeckte Ermittlerin? Und was hat ihr Tod mit Steuerbetrug zu tun? Zum Irrewerden das alles.

Lesen Sie hier die Rezension von SZ- Tatort-Kritiker Holger Gertz.

Bezeichnender Dialog:

Kommissar Thiel hat einen Termin im Finanzamt Münster, um sich beim ehemaligen Vorgesetzten des Verdächtigen Andreas Kullmann nach dessen Arbeit zu erkundigen. Kullmann arbeitete vor seiner Einweisung ins Haus Schwanensee als Steuerprüfer. Auch Frau Stielig, die engste Kollegin von Kullmann, ist bei dem Termin anwesend.

Büroleiter Carstens: Asozial, selbstbezogen, alles andere als teamfähig. Kurzum: Es war für diese Abteilung eine einzige Zumutung.

Frau Stielig: Nun ja, Zumutung ... Er war speziell.

Büroleiter Carstens: Sehr speziell. Ich will gar nicht verhehlen, dass ich anfangs sehr beeindruckt war von seiner Zahlenzauberei. Ich wollte ihm eine Chance geben, Genie und Wahnsinn liegen ja oft dicht beieinander.

Thiel lacht.

Büroleiter Carstens: Und ich geb' auch gerne zu, dass er in unseren Besprechungen sehr interessante Impulse gegeben hat.

Thiel: Moment mal! Besprechungen? Heißt das, er konnte ganz normal kommunizieren?

Büroleiter Carstens (lacht): Was heißt schon normal?

Thiel: Also ich hab' ihn bisher nur stumm erlebt.

Büroleiter Carstens: Nein, Kommunikation war nicht das Problem, eher seine Paranoia, die mit der Zeit wirklich bizarre Züge annahm. Überall hat er Feinde und Verschwörungen gewittert. Tragisch, wirklich tragisch.

Thiel: Deswegen ist er ja auch in der Klapse gelandet.

Büroleiter Carstens: Der Weg allen Fleisches.

Thiel: Vor allem der Beamten, was?

Beide brechen in Gelächter aus.

Die besten Zuschauerkommentare:

Beste Szenen:

Spiegelnde Oberflächen spielen eine prominente Rolle in diesem Tatort. Klar, die Symbolik ist ja auch bestechend in einem Film über die Facetten der menschlichen Persönlichkeit. Da stehen zum Beispiel Boerne und der autistische Andreas Kullmann am Fenster im Haus Schwanensee, blicken hinaus auf den Aasee und unterhalten sich darüber, wie es wäre, jetzt einfach loszulaufen, einmal um die Welt. "In 583 Tagen und sieben Stunden", sei das möglich, rechnet Kullman vor. "Allerdings nur, wenn Sie über Wasser laufen können." Und was sagt der Rechtsmediziner und Narzisst? "Ein Karl-Friedrich Boerne hat schon ganz andere Dinge geschafft."

Und dann ist da noch diese kleine, feine Szene, in der sich Thiel und Staatsanwältin Klemm gegenüberstehen. Zwischen ihnen der Einwegspiegel, der Verhörraum und Beobachtungszimmer trennt. "Na schön, dann werde ich jetzt mal die Schweine baden gehen lassen. Und zwar richtig", kündigt der Kommissar an. "Mein Tiger", haucht die Staatsanwältin.

Top/ Flop:

Die Kalauer-Dichte ist immer hoch in Münster. Auch in "Schwanensee" darf jeder der Protagonisten mal in den Lachsack greifen. Allen voran natürlich Boerne im Schlagabtausch mit Assistentin Alberich: "Der arme Mann hat mehr Sedativa in seinem System als Oscar Wilde zu seinen besten Zeiten." / "Braucht Karl-Friedrich Boerne eine Anweisung? Wenn alle großen Männer der Geschichte auf Anweisung gewartet hätten, säßen wir heute noch in der Höhle, Alberich." / "Alberich! Ich könnte Sie küssen! Ich habe nur a) Rücken und b) keine Zeit."

Thiel liefert seinen Schenkelklopfer trocken und auf Englisch aus. Als Klinikleiter Weimar die laxe Medikamentensicherheit im Haus Schwanensee mit "Learning by doing" rechtfertigt, antwortet der Kommissar: "Wohl eher: Learning by dying." Auch Nebenfiguren wie der zwischenzeitlich verdächtige Bufdi Olli Gärtner haben Späßchen ins Drehbuch geschrieben bekommen: Wie sollte das Lieblingscomputerspiel eines Voyeurs auch anders heißen als "Pussynator"?

Kann man mögen. Oder in der Dichte ermüdend finden.

Skurrilster Auftritt:

Zunächst ist man irritiert: Sowas trägt doch kein Mensch?! Aber doch, Klinikleiter Weimar hängt zur weichgespülten Persönlichkeit ständig eine dieser seltsamen Brillen um den Hals, die sich am Steg zusammensetzen lassen, obendrein in Hellorange. Auch hier ist die Symbolik offenkundig: Dem Mann fehlt der Durchblick, in modischen Dingen und überhaupt.

Die Erkenntnis:

Die Episode aus Münster hat bei aller Absurdität bittere reale Vorlagen: Da ist die Affäre um einen hessischen Steuerprüfer, der gegen betuchte Steuerflüchtlinge ermittelte und in den Vorruhestand geschickt wurde - nachdem ihm ein Amts-Psychiater eine "paranoid-querulatorische Entwicklung" ohne Aussicht auf Besserung attestiert hatte. Und natürlich der Fall Gustl Mollath.

Der unbequeme Geist, der in "Schwanensee" medikamentös vernebelt wird, heißt Andreas Kullmann. Doch am Ende nimmt der Tatort die Ausfahrt in Richtung moralische Selbstgerechtigkeit. In der Psychiatrie, lernt der Zuschauer, sitzen eben nicht nur Menschen, die einer Intrige zum Opfer gefallen sind. Sondern auch solche, die dorthin gehören, weil ihr Geist gefährlich ist. Und für solche Menschen wären Gitterstäbe nun mal besser als Glasscheiben.

Die Schlusspointe:

Kommt in Form eines Tretboot-Schwans daher. Der erklärt: "Eine Liebe, die nicht erwidert wird, kann sich auch nicht vollenden." Gut, eigentlich spricht da Karl-Friedrich. Aber der hatte nun wirklich schon genug Redezeit.

Die Quote:

War mal wieder in einer Dimension, von der andere Fernsehsender und -formate nur neidisch träumen können. 35,7 Prozent Marktanteil. Mehr als jeder dritte Fernsehzuschauer saß am Sonntagabend vor dem Tatort, in Zahlen: 13,63 Millionen Menschen. Und das ist nur die vorläufige Bilanz. Damit war "Schwanensee" nach ARD-Angaben die erfolgreichste Episode seit 1992. Wobei die TV-Landschaft damals noch weniger Konkurrenz bot. Dazu hätte Boerne bestimmt etwas zu sagen, nämlich: Das ist Liebe.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.2718872
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ.de
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.