Süddeutsche Zeitung

Maklerserien:Ist es der Hausneid?

Lesezeit: 3 min

Wie Netflix mit "L'Agence" und "Selling Sunset" die Maklerserien renoviert.

Von Dennis Müller

Die Deutschen, so sagt man, sind echte Heimwerker. Vielleicht ist das der Grund dafür, dass Wohn- und Umdekorierformate hierzulande immer noch angesagt sind. Es gab sogar mal eine Zeit, in der einem nachmittags im Privatfernsehen die Fünfer-Dübel nur so entgegenflogen - weil in Sendungen wie Einsatz in 4 Wänden oder M ieten, kaufen, wohnen und vielem, das so ähnlich war, ständig irgendwo umgezogen wurde, umgebaut und umdekoriert.

Das echte Umziehen wirkt inzwischen allerdings ein wenig schnöde, wenn man auf die beiden merkwürdig erfolgreichen Netflix-Maklersendungen L'Agence und Selling Sunset schaut. Bis auf die Thematik haben sie nicht viel mit den deutschen Wohnklassikern gemeinsam. In den beiden Shows über Maklerbüros in Paris und Los Angeles regiert der pure Luxus. Burgen in Südfrankreich, Villen in den Tälern Kaliforniens - der Preis der Immobilien ist für die superreichen Kunden in der Regel zweitrangig. Alltagsnähe scheint hier kein Ziel mehr zu sein. Die meisten Menschen können Häuser wie aus L'Agence und Selling Sunset nur bewundern wie ein Gemälde im Museum.

"Es geht bei den Häusern oft um Prestige und gar nicht um wohnpsychologische Aspekte, sondern um größer, besser, weiter", sagt Mareike Pisall. Die Innenarchitektin hat sich vor einiger Zeit weitergebildet in Sachen Wohn- und Architekturpsychologie, einem relativ neuen Forschungsfeld, das sich um die Zusammenhänge zwischen dem Menschen und seinem Wohnraum kümmert. Aber warum schauen wir gern dabei zu, wie sich ein paar Menschen Häuser kaufen, die sich die meisten vermutlich nie leisten können?

"Eine Wohnung ist kein Pain au chocolat", sagt Maklerin Sandrine Kretz in der ersten Folge von L'Agence. "Beim Erstkontakt mit Kunden gehe ich nicht nach Schema F vor. Es gibt kein Formular, das sie ausfüllen müssen. Das Ganze ist eine gemeinsame Reise." Das Maklerbüro gehört der Familie, es heißt "Kretz and Partners", ganze fünf Mitglieder des Kretz-Clans arbeiten für das Pariser Unternehmen. Mit Oma Majo und dem Schuljungen Raphaël wuseln sogar noch zwei mehr davon durch die Netflix-Serie, während Sandrine, ihr Mann Olivier sowie deren drei Söhne Martin, Valentin und Louis versuchen, ihren wohlhabenden Kunden "exklusive Immobilien" schmackhaft zu machen, wie es im Untertitel heißt. Darunter fallen historische Bauten, die Kriege überlebt haben, kunstvolle Art-Deco-Villen sowie Apartments mit Blick auf den Eiffelturm. Die Immobilienagentur der Kretz-Familie hat mittlerweile fast 100 000 Follower auf Instagram.

L'Agence ist aber nicht die einzige Netflix-Sendung, in der es ums Wohnen und Einrichten geht. Selling Sunset, die Reality-Serie über kalifornische Maklerinnen, geht an diesem Freitag bereits in die fünfte Staffel, dazu kommt ein Ableger. Die Sendung schlägt in eine ähnliche Kerbe wie L'Agence, ersetzt jedoch die wohlige Familienatmosphäre des Kretz-Clans durch einen zum Teil erbitterten Konkurrenzkampf zwischen Maklerinnen. Darüber hinaus bei Netflix im Programm: Sendungen über kleine Häuser, große Häuser, Häuser am Strand, Häuser in der Wildnis und Häuser überall sonst, wo man vier Wände und ein Dach zusammengeschraubt bekommt. Wer sich lange genug durch einschlägige Sendungen zappt, bekommt von dem Dienst sogar die lustige Verschlagwortung "Hausneid" angezeigt.

Nach einer Weile findet man plötzlich selber Bäder ohne zweites Waschbecken grässlich

Trotz der Alltagsferne adressieren solche Sendungen laut Wohnpsychologin Mareike Pisall menschliche Bedürfnisse wie Schutz, Entwicklung, Aneignung - und Wachstum. Das könnte ein Grund sein, warum sich die Zuschauer für preislich völlig utopische Immobilien interessieren, obwohl sie sich diese vermutlich nie leisten können. Durch die sozialen Medien und den damit verbundenen Einblick in die Leben und die Häuser von Superstars sind, erklärt Pisall, luxuriöse Wohnungen zudem "viel gewöhnlicher" geworden als früher, als man noch keine Ahnung hatte, wie viele Schlaf- und Badezimmer ein Haus mindestens haben sollte, um ein lebenswertes Dasein zu fristen. Dasselbe Phänomen lässt sich übrigens auch bei L'Agence und Selling Sunset beobachten: Hat man erst einmal ein paar Folgen hinter sich, erwischt man sich selber beim Kopfschütteln, sollten in einem Bad grässlicherweise weniger als zwei Waschbecken verbaut sein.

Eine wichtige Rolle für den Reiz der Luxus-Wohnsendungen spielen auch die Makler selber. Auch ihnen selber sind die Luxusvillen meist zu teuer. Maklerin Chrishell Stause aus Selling Sunset spricht offen darüber, dass ihre Familie eine Zeit lang obdachlos war, und sie beteuert immer wieder, wie dankbar sie sei, sich da herausgearbeitet zu haben. "Es ist eine Erinnerung, die mich bis heute schwitzen lässt", sagt sie in einer Folge. Mehr Fallhöhe geht im Fernsehen kaum.

Ein bisschen Eskapismus steckt in jeder Unterhaltung - aber es wirkt schon absurd, sich für eine Pause von der Wirklichkeit ausgerechnet Wohnsendungen anzuschauen. Vielleicht ergibt das aber Sinn in Zeiten, in denen Wohnraum knapp und schwer bezahlbar ist und in denen Suchende oft monatelang überlaufene Besichtigungstermine und WG-Castings auf sich nehmen. L'Agence und Selling Sunset lassen das Publikum in eine Fantasiewelt flüchten, wie eine Runde Sims am Computer. Ein Makler, der einen aus der tristen Immobilien-Wirklichkeit befreit, ist sogar als bloße Fantasie viel toller als ein zweites Waschbecken in echt.

Selling Sunset, Staffel fünf, bei Netflix.

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