Süddeutsche Zeitung

ZDF-Serie "Liberame":Es wird düster und immer düsterer

Lesezeit: 2 min

Flüchtlingsdrama, juristisches Proseminar, Actionserie: Der ZDF-Sechsteiler "Liberame - Nach dem Sturm" will viel - und macht auch einiges richtig.

Von Moritz Baumstieger

Sie sind tatsächlich angekommen. Die Familie Sabia aus Syrien, Ismail und Zahra, der Teenager Said, der aufbrausende Onkel Bilal. Und Akono Chuke, ein junger Mann aus Nigeria. Sie alle haben den gefährlichen Weg über das Mittelmeer gewagt, um Krieg und Elend in ihrer Heimat zu entgehen - und sie alle haben jemanden verloren. Die Familie Sabia die jüngste Tochter Jasmin, ertrunken irgendwo im blauen Nichts, als erst der Motor des Fluchtbootes streikte und dann ein Sturm dazukam. Mit dem Mädchen sterben auch Akono Chukes Vater und fünf weitere Menschen, die anderen überleben.

Für den deutschen Werftbesitzer Jan Garbe (Friedrich Mücke) ist es zunächst ein Schock, als er in einem Hamburger Taxi auf den Syrer Ismail Sabia trifft. Denn vor ein paar Jahren, auf einem Segeltörn im Mittelmeer, da war doch etwas: Garbe und seine Frau Caro (Johanna Wokalek) und die drei anderen mitreisenden Deutschen waren damals auf das manövrierunfähige Boot gestoßen, auf dem die Verzweiflung der Sabias stetig zunahm. Was tun? Versuchen, die Flüchtenden in einen rettenden Hafen zu geleiten - und damit riskieren, wegen Schlepperei angeklagt zu werden? Oder die verzweifelten Schreie ignorieren - und damit riskieren, durch unterlassene Hilfeleistung für den dutzendfachen Tod verantwortlich zu sein? Keine einfache Entscheidung auf der Liberame, so heißt die Yacht, ausgerechnet: "Erlöse mich".

Ist das rettende Seil gerissen - oder wurde es durchschnitten?

Was in seiner Grundkonstellation ein wenig daherkommt wie ein für ein juristisches Proseminar konstruiertes rechtliches und moralisches Dilemma, entwickelt Regisseur Adolfo J. Kolmerer über sechs 45-minütigen Folgen zu einem düsteren und immer düsterer werdenden Drama, das nicht nur unmittelbare Zeitgeschichte miterzählt: Selbstbildnisse zerspringen, Ehelebenslügen platzen, auf die wunden Punkte in den Biografien aller Beteiligten wird noch einmal ordentlich Druck ausgeübt. Denn die Rettungsaktion, auf die sich die arglosen deutschen Segler letztlich eingelassen haben, ging gewaltig schief: Ein Sturm zog auf damals am Mittelmeer, und irgendwann in der Nacht verloren Segelyacht und Flüchtlingsboot Kontakt. Ist das rettende Seil gerissen - oder wurde es mutwillig durchschnitten?

Die Jahre nach der Sturmnacht vom Mittelmeer einsetzende Abfolge gegenseitiger Verletzungen zwischen und innerhalb der Familien Sabia und Garbe wäre vielleicht schon genug gewesen, um die Handlung zu tragen. Und hätte einige der fast schon in Richtung Actiondrama ragenden Zuspitzungen vielleicht gar nicht gebraucht, mit denen die Macher die Serie vor allem zum Ende hin noch zusätzlich anzuheizen versuchen. Als kühle Kontrapunkte wirken so jedoch die großartigen Bilder von Kameramann Christian Huck noch stärker. Er zeigt den Handlungsort Hamburg auf eine Art, auf die ihn Neuankömmlinge vielleicht wahrnehmen: abweisend, unzugänglich, kalt, verpanzert.

Und noch etwas macht Liberame sehenswert: Kenda Hmeidan aus Damaskus und der syrisch-jordanische Schauspieler Tariq Al-Saies etwa, die Zahra und Bilal Sabia spielen, leben seit einigen Jahren in Berlin beziehungsweise Kopenhagen. An Theatern und in Kurzfilmen spielten sie bereits auch in Europa, nun drängen sie ins Fernsehen. In Liberame dürfen sie zwar nicht alle, aber zumindest manche der Dialoge auf Arabisch sprechen, noch mehr Authentizität und damit noch mehr Untertitel wären dann vielleicht zu viel gewesen fürs öffentlich-rechtliche deutsche Fernsehen. Aber, immerhin und glücklicherweise: Sie sind tatsächlich angekommen.

Liberame - Nach dem Sturm. 6 Folgen à 45 Minuten, in der ZDF-Mediathek

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