Süddeutsche Zeitung

Kölner Tatort:Viele kleine, skrupellose Hilfssheriffs

Lesezeit: 2 min

Im Kölner "Tatort" will eine Bürgerwehr das Viertel vor nordafrikanischen Männern schützen. Aber sie provoziert unnötig Gewalt. Die Nachlese.

Kolumne von Carolin Gasteiger

Die Erkenntnis:

Wenn Vorverurteilung und Misstrauen regieren, führt das zu Selbstjustiz und provoziert Gewalt in einer Endlosspirale. In "Wacht am Rhein" werden Bürger jeglicher Herkunft zu vielen kleinen, skrupellosen Hilfssheriffs, die Selbstjustiz über Staatsgewalt stellen. "Gewalt animiert zu Gewalt", sagte Meryl Streep jüngst bei den Golden Globes. Das passt auch auf diesen Kölner Tatort.

Darum geht's:

In einem Kölner Stadtteil patroulliert die Bürgerwehr "Wacht am Rhein", die nach der Silvesternacht 2015 vor allem jugendliche Nordafrikaner im Visier hat. Eines Nachts, Zoohandlungsbesitzer Deisböck ist noch in seinem Geschäft, überfällt ein Vermummter den Laden. Lars Deisböck, Sohn des Ladenbesitzers, und Ober-Sheriff Dieter Gottschalk kommen zu Hilfe. Bei einem Schusswechsel im Dunkeln stirbt Lars Deisböck. Sein Tod facht die fremdenfeindliche Stimmung im Viertel an.

Bezeichnender Dialog:

Auch Polizisten wie Tobias Reisser, Assistent der beiden Kommissare Ballauf und Schenk und selbst dunkelhäutig, sind vor Vorurteilen nicht gefeit. Als der Zeuge Adil Faras, ein marokkanischer Ladenbesitzer, das Polizeipräsidium verlässt, hat Reisser noch eine Frage.

Reisser: Was macht einer wie Sie eigentlich bei der Bürgerwehr?

Faras: Lustig, dass Sie das fragen. Was macht einer wie Sie eigentlich bei der Kölner Polizei?

Top:

Jürgen Werner, der bereits das Dortmunder Tatort-Quartett erschaffen hat, ist für Drehbuch zu "Wacht am Rhein" verantwortlich und führt vor allem in treffenden Dialogen vor, dass in der Flüchtlingsproblematik nicht immer nur Rechtsextreme die Bösen sind.

Flop I:

Ballauf und Schenk kommen nicht gut weg. Ungelenk torkeln die Kommissare durch den Fall, der arme Ballauf muss seine Impulsivität sogar mit handfesten Prügeln bezahlen. Man wünscht ihnen beim nächsten Mal ein bisschen mehr Souveränität.

Flop II:

Mit der Themenvielfalt klappt es beim Tatort gerade nicht. "Wacht am Rhein" ist nach der Frankfurter vergangene Woche bereits die zweite Episode, die die Angst vor Flüchtlingen thematisiert.

Beste Szene:

Doppelter Einsatz für die Polizei: Zum einen kündigt die Bürgerwehr einen Trauermarsch für den getöteten Lars Deisböck an, der zu eskalieren droht. Zum anderen nehmen die Beamten die WG des jungen Verdächtigen Khalid Hamidi auseinander. Beide Operationen werden geschickt geschnitten, sodass die Grenzen zwischen denen, die verdächtigen, und denen, die verdächtigt werden, ineinander fließen. Und die einen mindestens so bedrohlich wirken wie die anderen.

Beste Auftritte:

Sylvester Groth, ehemaliger Polizeiruf-Ermittler, kehrt in den ARD-Krimi zurück und spielt den Anführer der Bürgerwehr, Dieter Gottschalk. Indem er im Stillen scheinbar die Fäden zieht und nach außen die Anhänger seiner Bürgerwehr mit hohlen Parolen aufwiegelt, wirkt er verschlagen und gefährlich. Das ist unheimlich authentisch.

Und falls Sie sich schon gefragt haben, ...

... wer der ominöse Straßenmusiker ist, über den Ballauf und Schenk sich wundern: Am Saxofon steht Klaus Doldinger, der vor mehr als 40 Jahren die Tatort-Titelmelodie komponiert hat. Wenn Sie genau hinhören, erkennen Sie sie auch.

Schlusspointe:

Wie viele unnötig Schuldige die Angst vor den Fremden verursachen kann: Der Student hat seinen Entführer getötet, der Ladenbesitzer seinen eigenen Sohn. Abgeführt werden am Ende nicht nur sie, sondern auch Bürgerwehr-Chef Gottschalk und Nina Schmitz. Sie hat sich als Komplizin des toten Faras schuldig gemacht. Als die Beamten Schmitz hinausführen, will ihr Kind ihre Hand nicht loslassen. Die Selbstjustiz, mit der sie alle ihr Leben schützen wollten, hat genau dieses zerstört.

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