Süddeutsche Zeitung

"Hart aber fair" zum Coronavirus:"Wir werden uns irren"

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Bei "Hart aber fair" gehen die Gäste räumlich auf Abstand, inhaltlich dominiert aber ein konstruktives Miteinander - und das Eingeständnis, dass man auf manche Fragen der Corona-Krise noch keine Antworten hat.

TV-Kritik von Luise Checchin

Der Spruch "Hauptsache, wir haben darüber geredet" fällt in der Regel nur dann, wenn jemand deutlich machen will, dass man sich das Reden auch hätte sparen können. Bei Konferenzen zum Beispiel, bei denen nach anderthalb Stunden Diskussion noch immer keine Lösung für das Problem in Sicht ist, für das die Konferenz einberufen wurde. In Zeiten des Coronavirus aber, in denen eine unsichtbare Gefahr die Gesellschaft zwingt, auseinanderzurücken, ist der Akt des Redens womöglich tatsächlich wichtiger als die Frage, wie viel dabei inhaltlich nun herumkommt.

Genau das muss sich auch die "Hart aber fair"-Redaktion gedacht haben, sonst hätte sie ihre Sendung wohl nicht mit der doch recht weitgefassten Frage "Die Corona-Krise - Wo stehen wir, was kommt noch?" überschrieben. Um die zu erörtern, gibt es in dieser Sonderausgabe, die schon um 20.15 Uhr beginnt, dann auch deutlich mehr Zeit als gewöhnlich. Den Anfang macht eine halbstündige Reportage mit Eindrücken aus Deutschland und Europa, die trotz des ernsten Themas erstaunlich heiter daherkommt. In einer Szene etwa ermahnt eine befragte Passantin die Person, die die Kamera hält, mit den Worten: "Wir dürften hier ja auch nicht zusammenstehen, das ist Ihnen schon klar?" Dann tritt die Frau einen Schritt zurück.

Auf Abstand sind auch Plasbergs Gäste gegangen, mehrere Meter klaffen zwischen ihnen in dem ansonsten menschenleeren Studio, ein Publikum gibt es nicht mehr. Ein bisschen sehen diese vereinzelten Gestalten aus wie Geschäftsreisende, die in einer unvorteilhaft beleuchteten Hotelbar noch schnell ein Feierabendbier herunterstürzen wollen.

Einiges ist anders an diesem Abend. Wirtschaftsminister Peter Altmaier ist der einzige Politiker der Runde, um ihn herum stehen Fachleute oder Betroffene - der Virologe Jonas Schmidt-Chanasit, die Psychologin Ulrike Scheuermann, der Hotelier Bernd Niemeier und die ARD-Börsen- und Rechtsexperten Anja Kohl und Frank Bräutigam. Die Sendungsdramaturgie wiederum besteht weitestgehend darin, dass Plasberg zuvor eingesandte Publikumsfragen an seine Gäste weitergibt. Auch Talkshows verändern eben ihren Charakter in Krisenzeiten, von Debattierzirkeln zu Informations- und Selbstvergewisserungsveranstaltungen. Was wäre in einer Situation, in der sich die Lage von Tag zu Tag wandelt, und die Verunsicherung um sich greift, auch naheliegender?

Also arbeiten die Gäste eine Frage nach der anderen ab: Sollte eine Tochter davon absehen, ihre krebskranke Mutter zu besuchen? "Natürlich nicht", beruhigt Schmidt-Chanasit, solange man gewisse Vorsichtmaßnahmen einhalte, seien Besuche in Ordnung. Sollte man jetzt seine Aktien loswerden? Nein, rät Anja Kohl, die Werte der großen Unternehmen würden sich wieder beruhigen: "Man hat erst Verlust gemacht, wenn man verkauft hat." Was gilt es derzeit bei Bestattungen zu beachten? Von großen Trauerfeiern solle man absehen, empfiehlt Altmaier, "das wird in dieser Form nicht mehr möglich sein". Lieber hole man das gemeinsame Gedenken zu einem späteren Zeitpunkt nach.

"Unfassbar, wie schnell Politik gehen kann"

Sachlich und freundlich ist die Stimmung im "Hart aber fair"-Studio. Der Einzige, den ab und zu die Lust am Polemisieren überkommt, ist Plasberg selbst. Etwa, wenn er auf Altmaiers Beschwörung, noch bis Ende dieser Woche die Betreuungsprobleme von Eltern anzugehen, anmerkt: "Unfassbar, wie schnell Politik gehen kann."

Bei allem konstruktiven Miteinander an diesem Abend fällt aber doch auf, wie viele Unsicherheiten, Leerstellen und offene Fragen bleiben. Man habe die Situation möglicherweise zu Beginn etwas unterschätzt, räumt Altmaier ein, zeigt sich nun aber umso entschlossener. "Wir sind bereit, notfalls auch Schulden zu machen", versichert der Wirtschaftsminister. Für die schwierige Lage Selbständiger, von denen viele in den kommenden Wochen um ihre berufliche Existenz fürchten dürften, hat aber auch er noch keinen konkreten Lösungsansatz anzubieten. Der Rechtsexperte Bräutigam wiederum betont immer wieder, man müsse derzeit flexibel sein und dürfe es in rechtlichen Fragen nicht so genau nehmen. Eine Aussage, die ihn sichtlich schmerzt, ist doch Genauigkeit normalerweise eine der juristischen Grundtugenden.

"Wir brauchen jetzt auf keinen Fall Besserwisser", sagt Kohl gegen Ende, wie um ihn zu beruhigen. "Wir brauchen Runden wie diese, wo Fragen erlaubt sind. Wir werden uns irren, wir werden falsche Dinge sagen, weil sie zwei Stunden später nicht mehr gelten und das muss legitim sein."

Die Grenzen der eigenen Erkenntnisfähigkeit zu umarmen, mit diesem Ansatz entlässt Plasberg sein Publikum dann auch in die Nacht: "Nächste Woche wieder 'Hart aber fair'", moderiert er die Sendung ab, "ob 21 Uhr oder 20.15 Uhr - wer weiß das schon in diesen Tagen?"

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