Süddeutsche Zeitung

ZDF-Serie "Gestern waren wir noch Kinder":Voll in die Biene gebissen

Lesezeit: 3 min

Das ZDF erlaubt seiner Erfolgsautorin Natalie Scharf, sich am Starnberger See in einer Highend-Thriller-Melodram-Serie auszutoben. "Gestern waren wir noch Kinder" erstickt im Overkill.

Von Harald Hordych

Schon wieder läuft zur besten Sendezeit eine ZDF-Serie, die sich der systematischen Zerstörung einer Lebenswelt im oberen Einkommensbereich widmet. Neuland vor zwei Wochen ging dabei so gnadenlos wie subtil und präzise vor. Da wurde keine Minute Sendezeit verschwendet.

Jetzt startet die sogenannte Highend-Serie Gestern waren wir noch Kinder. Spektakulär fliegt nun einer einzigen Familie die herrlichste Wohlstandswelt am Starnberger See um die Ohren. Anna Klettmann feiert morgens im Kreis der Familie ihren 44. Geburtstag, und das Dramatischste ist zunächst die Frage, ob auch die älteste Tochter Vivi (Julia Beautx) den Geburtstagsgrilltermin um 16 Uhr schafft.

Annas Mann Peter, erfolgreicher Rechtsanwalt, muss noch mal ins Büro - und dann kommt Anna früher als gedacht nach Hause, macht eine Entdeckung, von der man als Zuschauer nichts sieht, ruft panisch den Ehemann in der Kanzlei an und erfährt, dass der sich doch den Tag freigenommen hat.

Ein Lügengespinst tut sich schemenhaft auf, bei dem man nur weiß, dass eine attraktive Klassenkameradin von Vivi eine Rolle spielt, die zu Peter Klettmann an diesem Morgen ins Auto gestiegen ist. Klettmann fährt jedenfalls - von seiner Sekretärin alarmiert - nach Hause. Dann ertönen schreckliche Schreie, er kommt heraus, ruft die Polizei an und gesteht, seine Frau tödlich verletzt zu haben.

Der junge Polizist Tim (eindringlich: Julius Nitschkoff), der als erster am Tatort ist, trifft Anna noch bei Bewusstsein an, und dann geschieht, was symptomatisch ist: Ihre letzten Worte lauten: "Pass auf meine Kinder auf!" Warum sagt die sterbende Frau dem Polizisten das? Warum folgt der Polizist diesem Ruf der Sterbenden? Um solche Geheimnisse geht's - auch weil sie einen zweiten Satz sagt, den nur Tim hört.

Und der Beamte hat eine Vision, wie er als kleiner Junge von Polizisten gefunden wird. Alles hängt zusammen! Auch die beiden Erzählebenen: der nun beginnende Kampf der Tochter Vivi, gemeinsam mit dem Polizisten Tim, um das Sorgerecht ihrer jüngeren Geschwister; und in Rückblenden die Geschichte der komplizierten Liebe zwischen Peter und Anna Klettmann.

Starke Reize bestimmen den Charakter dieser Melodrama-Thriller-Serie: Lieber ein Effekt zu viel, als einer zu wenig. Jedes Drama auskosten, jede Emotion überpointieren, kein noch so kleines Dramolett verschenken.

Wenn jemand traurig ist beim Abiball, dann sitzt er nicht traurig da, dann heult er am Tisch, als ob er allein im Saal wäre. Wenn Anna am selben Abend besoffen ist, dann kotzt sie ihrem angebeteten Peter aber so richtig mitten auf den Anzug. Wenn jemand stirbt, dann nicht durch eine Krankheit, sondern weil er in eine Erdbeere beißt, auf der eine Biene todbringend herumkrabbelt.

Momente, die Wirkung entfalten könnten, erzeugen in ihrer Ballung nur Leere

Und wenn Peters Vater in der Rückschau ein cholerischer, selbstherrlicher, kaltherziger Machtmensch ist (Ulrich Tukur spielt auch diese Klischeefigur mitreißend), dann als Karikatur im bellenden Kasernenhofton. Und wenn Peters Mutter (bezaubernd irre: Karoline Eichhorn) nicht über den Tod seiner Schwester hinwegkommt, dann legt sie sich halt am helllichten Tag zum Schlafen aufs Grab.

Solche Momente könnten jeder für sich ja große Wirkung entfalten, aber in dieser kitschigen, effekthascherischen Ballung werden sie zu einer Anhäufung von Drehbuch-Leuchttürmchen, die noch nicht mal auf Dauer, sondern eigentlich schon von der ersten Folge an sehr ermüden. Im Vorspann steht groß wie ein Markenzeichen als Erstes: eine Serie von Natalie Scharf, die das Buch geschrieben hat und auch Produzentin ist. Im ZDF-Herzkino liefen Filme nach ihren Drehbüchern, die "Genieße jeden Augenblick" und "Keine Angst vorm Leben" hießen.

Regisseurin Nina Wolfrum macht sich das Melodramatische der Vorlage sehr zu eigen, da helfen auch die edlen Einstellungen von Kameramann Mathias Neumann nicht wirklich weiter, da kann das sehr gute Ensemble - zu nennen wären da noch Damian Hardung und Rieke Seja als junger Peter und junge Anna - auch nicht gegen anspielen. In Zeitlupe wird endlos die Ankunft der Ältesten am Tatort zelebriert, mit gefühlsbetonter Musik unterlegt - hätten die Blicke der Menschen nicht gereicht, wenn ein Kind das Zuhause erreicht, wo der Vater die Mutter getötet hat? Und immer wieder lange Close-ups der Protagonisten. Diese aber irgendwann eher leer dreinblickenden Gesichter vermögen dem Moment auch nicht die dramatische Wucht zu geben, die diese Serie haben soll.

Gestern waren wir noch Kinder , ZDF, Montag, Dienstag und Mittwoch, jeweils 20.15 Uhr und in der ZDF-Mediathek.

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