Süddeutsche Zeitung

Sky-Serie "Der Pass":Schneekugel des Bösen

Lesezeit: 3 min

Die zweite Staffel der Sky-Serie "Der Pass" erzählt von Jägern und versehrten Ermittlern - und ist genauso großartig wie die erste.

Von Claudia Tieschky

Erst die Nachricht für die Freunde des extravaganten Stils: Gedeon Winters Mantel hat Staffel eins überlebt - dieses irgendwie räudige und gleichzeitig so verdammt überschwängliche Kleidungsstück, das schon von allein zeigte, wie wenig sich der Träger, angeblich ja Polizist, um alles schiss.

Allerdings dauert es eine Weile, bis in Der Pass, Staffel zwei, das Schicksal von Winter selber aufgelöst wird, dem von Nicholas Ofczarek gespielten Kommissar aus Österreich. Im Grunde wird es bis zum Schluss nicht ganz geklärt. Sicher ist, dass Winter am Ende der ersten Staffel eine von einem Motorradfahrer abgeschossene Kugel in den Kopf bekam. Im Auto, an einem Bahnübergang und bei der Zigarette danach: Gerade hatte Winter seine deutsche Kollegin Ellie Stocker in letzter Sekunde vor einem Giftanschlag des irren Krampusmörders gerettet. Der Fall war gelöst. Und aus. Richtig aus. Blöd, wenn eine Serie dann so erfolgreich wird, dass sie weitergehen soll.

Kugel im Kopf - na und?, sagt da der Serien-Connaisseur, der natürlich gleich an Legal Affairs aus der ARD denkt, wo die Anwältin Leo Roth schließlich auch eine Kugel im Kopf hat, seit Jahren schon, die sich manchmal bewegt und Drama erzeugt. Wer etwas auf sich hält in dieser Seriensaison, der verfügt über ein extravagantes Röntgenbild seines Gehirns. Und was das Wetter im Pass betrifft: Schnee muss fallen, sanfte, schwerelose Flocken.

Die Showrunner spielen mit dem Restrisiko von Sagen und Bräuchen

Den schaurigen Fall vom letzten Mal hat nicht nur Gedeon Winter noch, nun ja, im Kopf. Die an sich brillante Kollegin Stocker (Julia Jentsch) ist dem Polizeialltag nicht mehr in jeder Hinsicht gewachsen. Panikattacken, gefährliche Fehler. Die dann bald fulminante zweite Staffel beginnt eigentlich verhalten, geradezu fad - mit einem Gefühl von Bürotristesse, ständig Kaffeebecher. Auch diesmal entwickelt sich Hickhack um deutsch-österreichische Zuständigkeiten, eine Studentin wird ermordet und brutal zugerichtet aufgefunden. Der Zuschauer ist wie in Staffel eins schon ein paar Schocker weiter als die Polizei, kennt den Täter und hat eine ziemlich gruselige Ahnung, was noch kommen könnte.

Das Team um die beiden Showrunner Cyrill Boss und Philipp Stennert und Kameramann Philip Peschlow hat zum zweiten Mal eine große, brillante Schauergeschichte inszeniert, einen bösen Brummton auf lichtlose Bergwälder gelegt und mit dem Restrisiko von Sagen und Bräuchen gespielt.

In Erinnerung ist noch Gregor Ansbach, der geltungssüchtige Psychopath. Diesmal geht es dem Täter - so viel Spoiler muss sein - um sexuelle Erregung durch Qualschreie. Eine präparierte Hirschkuh, die vor ihrem Ableben in der Gewalt des Mörders war, löst den entscheidenden Trigger aus, und dazu fallen immerzu im diffusen Licht diese Flocken, als wären alle eingesperrt in einer Schneekugel des Bösen.

Familie ist auch hier die Hölle, eine Baufirma ist erfolgreich, weil einer von zwei reichen Gössen-Brüdern alle Klischees vom Ösi-Filz erfüllt, und wenn zur Jagd geblasen wird, sind die noch die Harmlosesten, die nach Macht jagen. Die Bilder sind edel, die Besetzung ist grandios - die Schau im neuen Ensemble aber ist Dominic Marcus Singer, der Alexander Gössen spielt, den weniger zum Geschäft tauglichen Bruder. Ein verhinderter Pianist, der in einem alten Gemäuer am Berg haust, aus dem sein Bruder längst geflohen ist. Er spielt ihn so, dass er auch ein entrückter Märchenkönig in seinem Schloss sein könnte. Ist er aber nicht.

Gedeon Winter hat Ellie Stocker das Leben, aber nicht die Seele gerettet

Das alles ist verblüffend gelungen - nach einer preisgekrönten ersten Staffel, die kaum zu überbieten zu sein schien, eine zweite, vielleicht sogar noch stimmigere nachzuschieben, mit dem gleichen Markenkern, also demselben Spannungsmuster, mit der gleichen unterschwelligen Erzählung einer vom Unheimlichen beseelten Bergwelt- und trotzdem anders. Die Verflechtung reicht so weit, dass ein Strang der Geschichte in der Rückblende eine Szene kreuzt, die aus Staffel eins bekannt ist.

Serien wie Der Pass handeln immer genauso vom Ermittlerteam, und Gedeon Winter hat Ellie Stocker das Leben, aber nicht die Seele gerettet. "Eins dürfen Sie nicht vergessen: Wenn Sie dem Täter in die Augen schauen, dann schaut er auch in Ihre", warnt Ellie die junge Polizistin Yela Antic, die aber trotzdem unbedingt hinschauen will. Wie sehr Stocker und Winter, diese beiden vom Dienst Versehrten, diese Gespenster, wirklich Polizisten sein wollen und müssen, ist ein Thema für sich. Glück, das ist, wenn Winter in seinem Stammlokal sein eigenes Kommissariat aufschlägt und in der Jukebox den Song drückt, in dem Wolfgang Ambros der Welt entgegenhaut, wie lang er sich nicht mehr gewaschen hat.

Von wegen ungewaschen - am Ende trägt Winter eine Galauniform, schaut gefährlich aufpoliert aus: Spätestens von Mitte der vorletzten Folge an löst sich die Story schon ganz lässig vom Fall und liefert mit einer Wendung, die alles ändert, den Cliffhanger für die nächste Staffel. Gute Idee.

Der Pass, bei Sky

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