Süddeutsche Zeitung

"Das Versprechen" im ZDF:Wie es wirklich ist mit dem D-Wort

Lesezeit: 2 min

Was, wenn man sich gegenseitig nicht mehr helfen kann? "Das Versprechen" ist ein authentischer Film über die Verstrickungen und Schuldgefühle, wenn jemand in der Familie psychisch erkrankt.

Von Barbara Vorsamer

Erst in Minute 50 fällt das D-Wort. "Ich glaube, dein Vater hat Depressionen", sagt die 16-jährige Jule zum elfjährigen Bendix. Da hat man schon den halben Film lang Bendix' Vater Fabian mit ausdrucksloser Mimik über den Bildschirm schleichen sehen. Er liegt im Bett, sitzt herum und isst bei der Arbeit die Brotzeit nicht, die ihm sein Sohn mit Klebezettel versehen eingepackt hat ("Aufessen!"). Er kann nicht mehr. Doch Bendix (Mika Tritto) und Fabian (Andreas Döhler) sind nur noch zu zweit, die Mutter ist früh verstorben, und so versichern sich die beiden: "Zwischen uns passt kein Blatt Papier." Und: "Wir werden uns nie verlassen." Für ungeübte Ohren sind das schöne, nette Sätze. Hier hindern sie die beiden daran, sich Hilfe zu suchen.

Psychologen sprechen von Parentifizierung, wenn Kinder von kranken Eltern deren Aufgaben und deren Verantwortung übernehmen. Es ist Bendix, der putzt und kocht und den Wecker stellt. Als seine neue Freundin Jule (Ella Morgen) ein Versteck für ihre Pistole will, versteckt er sie in seiner Spielzeugkiste. "Bei mir schnüffelt nie jemand herum", sagt er. Es wirkt, als fände er ein bisschen elterliche Schnüffelei ganz schön.

Jule wiederum wünscht sich die Pistole, weil sie sich selbst und das Leben nicht mehr aushält. Sie muss wegen einer affektiven Regulationsstörung eine psychiatrische Tagesklinik besuchen, flippt ständig aus, ihre Eltern kommen nicht mit ihr zurecht. Nur von Bendix fühlt sie sich verstanden. Gemeinsam versuchen sie, seinen Vater davon zu überzeugen, dass er Therapie braucht. Als aber klar wird, dass ein Klinikaufenthalt des Vaters für den Sohn bedeutet, dass er in eine Pflegefamilie muss, denkt Bendix an sein Versprechen. Drastische Maßnahmen sind nötig - und da ist ja noch die Pistole in der Kiste.

Wie eine schwere Schneedecke, unter der man langsam erfriert

Erst an dieser Stelle wird "Das Versprechen" so richtig zur Fiktion, erst hier nimmt der Spielfilm Wendungen, die im echten Leben eher selten vorkommen. Ein bisschen dramaturgische Freiheit muss erlaubt sein, wie in der Szene, in der Bendix einfach mal mit Jule in die Tagesklinik geht - in der Realität wäre das ohne eine Handvoll Zettel und Stempel nicht möglich. Was aber die Darstellung von Depressionen, vom Alltag in psychiatrischen Kliniken und dem Ablauf von Therapiesitzungen angeht, ist der Film beinahe dokumentarisch genau.

Die Bezeichnungen für die emotionalen Zustände sind wiederum so lyrisch, dass hoffentlich auch psychisch Gesunde sich etwas darunter vorstellen können. Fabians Depressionen sind da wie eine schwere Schneedecke, unter der man langsam erfriert, Jules Zustände wie Springfluten, die sie und ihre Umgebung überschwemmen. Bendix fühlt sich mit der Verantwortung für seinen Vater wie auf einer Eisscholle, die ganz alleine weit draußen im Meer treibt.

Obwohl in der einen Familie der Elternteil krank ist und in der anderen das Kind, stellen sich erstaunlich ähnliche Fragen. Immer geht es ums Kümmern oder Loslassen, darum, Verantwortung anzunehmen und abzugeben, und darum, sich gegenseitig zu akzeptieren, wie man ist. Dabei halten sich Regisseur Till Endemann und Drehbuchautorin Beate Langmaack so weit von jedem Kitsch fern, dass es am Ende, als man beim Zuschauen schon denkt, dass sich gleich alles in Wohlgefallen auflöst, doch noch mal ganz anders kommt.

Das Versprechen . ZDF, Montag, 20.15 Uhr.

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