Süddeutsche Zeitung

Castingshows: DSDS, X-Factor und Co.:Wie wird man eigentlich Superstar?

Lesezeit: 3 min

Starsuche im Fernsehen ist gefragt wie nie. Doch die Musikindustrie beobachtet die neuen Helden argwöhnisch.

Rupert Sommer

Das Casting-Fieber lässt die Fans weiter schwitzen. Auch in der siebten DSDS-Staffel, kurz vor dem Start von X-Factor und nach der Suche nach Deutschlands beste Partyband träumen offenbar immer noch Teenager vom Aufstieg zum Star. Mit der Realität im Pop-Geschäft hat die Talentsuche nichts zu tun, wettert der Bundesverband Musikindustrie.

Träume sind Schäume, Lottogewinne fast so unwahrscheinlich wie ein durch Heidi Klum vermittelter Modelvertrag und ein freundliches Wort von Dieter Bohlen auch nur so viel wert wie ein Kompliment unter Heiratsschwindlern. Und dennoch drückte Deutschlands selbsternannter Superstarmacher Samstag für Samstag um die sieben Millionen Fernsehzuschauer in die heimischen Wohnzimmersessel, um sie dort zu Augenzeugen eines neuen RTL-Rührstücks zu machen.

Bohlens Favorit

So springt Dieter Bohlen schon mal begeistert auf und umarmt einen neuen Favoriten begeistert. Wird beispielsweise der 22-jährige Menowin Fröhlich damit zu Deutschlands neuer Pophoffnung? Durfte das Millionenpublikum einem musikgeschichtlichen Schlüsselmoment beiwohnen? Werden so Superstars gesucht und gefunden? Eher nicht.

"Es ist ein weitverbreitetes Missverständnis", schimpft Stefan Michalk, Geschäftsführer des Bundesverbands Musikindustrie, "dass Castingshows dazu da sind, den Nachwuchs für die Musikindustrie zu rekrutieren." Ernst nehmen will der Cheflobbyist von Deutschlands Rock- und Pop-Managern den Auswahlprozess daher nicht. "Castingshows sind kein Produkt der Musikindustrie", so Michalk, "sondern intelligent gemachte TV-Shows zur Vermarktung von Werbezeiten, bei denen Musik im Zentrum steht."

Ob Menowin Fröhlich wirklich das Zeug zum Star hat, ist somit Nebensache. Das Trüffeln von jungen Talenten möchte sich die Industrie jedenfalls nicht abnehmen lassen, schon gar nicht von Dieter Bohlen. "Die überwiegende Zahl von Nachwuchskünstlern wird immer noch von den kleinen und großen Plattenfirmen entdeckt, gefördert und aufgebaut", sagt Michalk. "Das dauert Jahre und nicht nur ein paar Monate."

Glaubt man den Fernsehveranstaltern, dann sitzen in den Chefsesseln der Musikindustrie nur Miesmacher. In Castingshows werden dagegen die Ärmel hochgekrempelt - und Wunder herbeigesungen. "Ein Plattenvertrag und eine Karriere im Musikbusiness für Dich", lautet kurz und bündig das Versprechen, das der Zweite-Liga-Sender Vox derzeit in die traumvernebelte Welt der Bravo-Leser und Unter-der-Dusche-Sänger posaunt. Aktuell werden für die in Großbritannien erfolgreiche Castingshow X-Factor, die nun erstmalig in Deutschland neue Popstars suchen soll, schon wieder Hoffnungsträger begutachtet.

Dass es überhaupt noch Talente gibt, die noch nicht von dem großen Sortierbesen durch TV-Shows wie "DSDS", Bohlens RTL-Parallelveranstaltung Das Supertalent oder ProSiebens Popstars-Suche getrieben worden sind, verwundert Branchenkenner nicht. Uwe Kammann vom Adolf-Grimme-Institut, das 2005 schon Stefan Raab für die Casting-Alternative Stefan sucht den super Grand Prix Star mit einem der renommierten Grimme-Fernsehpreise geehrt hat, rechnet jedenfalls nicht mit rückläufigen Bewerberzahlen. "Das Potential ist mindestens so groß wie die Zahl der deutschen Badezimmer", sagt er.

Ein Ende des Casting-Wahns ist für ihn nicht in Sicht. "Das ist wie mit Schweinebergen und Milchseen", so Kammann. Ob sich die Programmveranstalter, die sich in Einfallslosigkeit beim Auswalzen desselben platten Trends überbieten, längerfristig wirklich einen Gefallen tun, bleibt aber dahingestellt. Laut einer Umfrage der Programmzeitschrift Funk Uhr stöhnt ein Drittel der Fernsehzuschauer bereits über die nicht abebbende Flut der Castingshows. Unbeliebter sind nur die Werbeunterbrechungen und die lästigen Wiederholungsraten.

Die neue Vox-Starwelle wird anrollen, sobald auf dem Schwestersender RTL der aktuelle DSDS-Gewinner gekürt wurde. Der Clou bei X-Factor: Erfahrene Branchengrößen sollen den Nachwuchssängern diesmal aktiv unter die Arme greifen, anstatt sie wie Bohlen anzublaffen. Das X-Factor-Finale wird dann ebenso wie die Auftaktsendung wieder bei RTL zu sehen sein. Da müsste es schon mit dem Teufel zugehen, wenn sich der führende Sprücheklopfer der Musikbranche nicht wenigstens in einem Bohlen-Gastauftritt sehen ließe.

Vorher noch meldet Kabel eins popkulturelle Ansprüche an. Hier machen sich Musikexperten wie der ehemalige MTV-Moderator Steve Blame und die bei DSDS ausgeschiedene Jurorin Anja Lukaseder auf die Suche nach Gute-Laune-Talenten: Deutschlands beste Partyband lautet der Kabel-eins-Kampfschrei.

Spielt die TV-Branche also doch nur zynisch mit der Verführbarkeit junger Menschen durch uneinlösbare Träume? "Dem Fernsehen das zum Vorwurf zu machen, halte ich für nicht gerechtfertigt", sagt Stefan Michalk. "Es wird ja niemand dazu gezwungen, sich dort zu bewerben." Dass dennoch ein Millionenpublikum in den deutschen Wohnzimmern glaubt, ernsthaft am Aufleuchten heller Sterne teilzuhaben, stört ihn schon mehr.

"Castingshows vermitteln ein falsches Bild von den Zusammenhängen im Musikbusiness", klagt er. "Für die Wertschätzung von Musik und kreativer Leistung ist das nicht hilfreich." Oder spricht aus dieser Ablehnung etwa doch nur die Angst, dass Bohlen und Co. die Talentscouts der Plattenfirmen überflüssig machen könnten? Michalks Antwort kommt wie aus der Pistole geschossen. "Klares Nein", sagt er. "Das zeigt sich auch immer wieder daran, dass die meisten Castingshow-Karrieren eine geringe Halbwertszeit haben."

Der Kritik am seichten Getingel hat sich einer der wesentlichen Strippenzieher geschickt entzogen: Stefan Raab ist nur noch für "nationale Aufgaben", nicht für schnödes Kraut-und-Rüben-Casting zu haben. Für sein bisheriges Bemühen, ganz Deutschland, der ARD und ProSieben einen würdigen Star für das Eurovision-Wettsingen in Oslo zu finden, wurde der einstige Grand-Prix-Teilnehmer bislang einigermaßen gelobt.

Ob deswegen tatsächlich große Kunst und eine erfolgreiche Star-Karriere im Entstehen ist, möchte er aber nicht voraussagen. "Der Wettbewerb selbst ist eher eine Mischung aus Roulette und Netzwerkerei", sagt er. "Der Eurovision Song Contest war schon immer ein Wettbewerb, der ganz eigenen Gesetzen gefolgt ist", weiß auch Stefan Michalk. "Musikalische Qualität ist dort kein Garant für Erfolg und umgekehrt." Grundlegend anders dürfte der nüchterne Geschäftsmann Bohlen sein Metier auch nicht verstehen. Nur dass er seine Kandidaten und die TV-Fans länger träumen - oder zappeln - lässt.

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