Süddeutsche Zeitung

ARD-Nachrichten:Kampf an der Krümelfront

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Wer wirklich was über Gas, Krieg und Wirtschaftskrise erfahren will, sollte gerade dringend den Politikern aus der zweiten und dritten Reihe in der "Tagesschau" zuhören.

Von Andrian Kreye

Ach, wie herrlich ist das Sommerloch. Hat das eigentlich schon angefangen? Zumindest hatte die Hauptnachrichtensendung der ARD am Mittwochabend zu ihrer Tagesschau-Topstory niemand aus der ersten Berliner Reihe gekriegt. Also auch niemanden, der oder dem eine ganze Abteilung für Öffentlichkeitsarbeit Formulierungen wohlgeschliffener Standpunkte zuliefert. Und was gibt es Schöneres, als wenn sich Klischees bestätigen, weil die Talking Heads die Parteilinien ganz ungeschliffen von sich geben? Es ging um die Themen Energie, Klima und Wirtschaft, die in der Wirklichkeit eigentlich nur noch die Vorsilben für das Schlagwort "Katastrophe" sind. Die Ampelvertreter aber zeigten, dass man auch das ganz große Big Picture sehr fein zerkrümeln kann.

Den Auftakt machte Christian Dürr von der FDP, bei dem man sich ganz gemäß der eigenen Vorurteile fragte, welcher Geldkoffer denn da in seinem hübsch geräumigen Einfamilienhausgarten stand. Der von der Atomlobby? Die Kohle von der Kohle? Man müsse ja nun in dieser Situation alles nutzen, sagt er, dazu gehöre auch "Kohleverstromung". Was für ein grandioses Wort für die Großoffensive gegen jedwede Klimaziele. Aber auch die Atomenergie müsse man nutzen. Das ist eigentlich ganz vernünftig, weil sich die Natur- und Klimawissenschaften einig sind, dass die Atomenergie zwar keine ideale, aber eine unausweichliche CO₂-neutrale Energiequelle ist, die big-picture-statistisch gesehen bisher die niedrigste Sterberate hat (Öl- und Gaskriege noch nicht mal inklusive). Wäre da nicht das dumpfe Gefühl mit den Geldkoffern.

Die Replik kam dann nicht von der Opposition, das geht in der Ampel auch so. Katja Mast von der SPD sagte, Atomkraft produziere keine Wärme, sondern Strom. Der kleine mit Gas produzierte Anteil an Strom würde ja mit Kohlekraftwerken ausgeglichen. Gibt es im Tagebau eigentlich überhaupt noch Jobs, die die Gewerkschaften retten wollen?

Man kann sich natürlich auch um Parteilinien und Aussagen drücken. Dafür eignet sich die Bürokratie. Julia Verlinden von den Grünen ging damit exemplarisch in die Debatte. Die drei verbliebenen Atomkraftwerke seien ja nun mal darauf ausgerichtet worden, dass sie im Dezember vom Netz gehen. Personalpläne, Brennstabvorräte und Sicherheitsüberprüfungen seien allesamt für den Dezember ausgerichtet, außerdem erlaube das Atomgesetz keine Verlängerung der Laufzeiten. Das allerdings war dann doch der schwächste Beitrag, denn die Überstunden- und Regelfragen wirkten etwas kleinlich im Kontext einer Woche, in der Wolodimir Selenskij eine Million Mann in den Russenkessel schicken will. Dass der Krieg in der Ukraine auch ein Rohstoffkrieg ist, wurde in der ganzen Sendung übrigens nicht erwähnt. Denn den hat der Westen nun schon mal verloren, deswegen wird jetzt an der Krümelfront gekämpft.

Man sollte diesen Beitrag auf alle Fälle für die Nachkommen aufheben. Sie werden vermutlich sehr viele Fragen haben, was ihre Gegenwart betrifft, die heute noch die Zukunft ist. Ein paar Antworten finden sie dann im Gestern.

Tagesschau, in der ARD- Mediathek .

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