Süddeutsche Zeitung

ARD-Krimi:Süchtig aus Vernunft

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Im Wiener Tatort müssen die Kommissare Fellner und Eisner kein Verbrechen aufklären, sondern eines verhindern. Leider machen sich die Österreicher diese gute Idee kaputt.

Von Holger Gertz

Manchmal sprechen die Figuren im Tatort das Publikum direkt an, etwa in der Folge "Im Schmerz geboren" und auch - die Älteren erinnern sich - in "Ein ganz gewöhnlicher Mord" von 1973. Diese Art der Kontaktpflege mit den Zuschauern ist rar und deshalb wirkungsvoll, also hinterlässt der Beginn dieser Episode aus Wien entsprechend Eindruck. Ein junger Mann schaut aus warmen, freundlichen Augen und sagt: "Ich werde meine Mutter, meinen Vater und anschließend mich selbst töten. Und ich werd' mich bemühen, Ihnen zu erklären, warum."

Sogleich setzt sich die Polizei in Bewegung, es ist kein Mord aufzuklären, sondern ein Doppelmord plus Suizid zu verhindern. Die Folge "Schock" von Regisseur und Autor Rupert Henning ist also in gleich mehrerer Hinsicht anspruchsvoller konstruiert als das Durchschnittskriminalprogramm am Sonntagabend. Leider machen sich die Österreicher einiges kaputt, indem sie Motive und Ideen in die Geschichte packen, die man gerade aus Durchschnittskrimis kennt. Natürlich gibt es wieder das bekannte Kompetenzgerangel. Natürlich steht eine Nervensäge - Ungustl, sagt der Österreicher - bereit, an der sich der Ermittler reiben kann, all das hat man schon hundertmal so gesehen. Moritz Eisner (Harald Krassnitzer) und Bibi Fellner (Adele Neuhauser) bleiben zwei warme Charismatiker. Aber ihre Erörterungen, von welcher Beschaffenheit genau eigentlich jene Kacke ist, die so ein Korinthenkacker absetzt, bremsen den Drive einer Geschichte, die mehr Potenzial gehabt hätte.

Der junge Mann aus der Eröffnungssequenz (Aaron Karl) bedroht stellvertretend seine Karriereeltern, weil die Leistungsgesellschaft längst Kommilitonen auf dem Gewissen hat. Der Druck frisst Träume, Wünsche und am Ende Menschen. Der Tatort will eine Bestandsaufnahme der Generation Y sein: hochmotiviert, aber überfordert. Top ausgebildet, aber arbeitslos. Hier verliert sich das auf intellektuell gestrickte Stück in Klischees und zeichnet ein Bild einer Generation, in der praktisch alle auf Droge sind. "Wir sind süchtig aus Vernunft", schreit Eisners Tochter, während ja die Älteren praktisch alle LSD und Koks genommen hätten, die Spaßdrogen der früheren Jahre, als alles noch so easy war. Aber so easy war's halt doch nicht.

ARD, Sonntag, 20.15 Uhr.

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Quelle:
SZ vom 21.01.2017
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