Süddeutsche Zeitung

"Anne Will" zu "Ein Jahr Corona":"Wir wissen: Wir haben ein Virus"

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Bei der Pandemie-Jubiläums-Ausgabe von "Anne Will" gibt der Chef des Ifo-Instituts "dicke Fehler" zu. Wirtschaftsminister Altmaier beweist sich als Meister des Irrealis.

Von Marlene Knobloch

Schlecht gebundene Krawatten, Anekdoten ohne Pointe und ein lauer Witz zum Abschied - es war ein angemessen verhaltenes Jubiläum für die Pandemie. Mit Blick zurück und nach vorn lautete der schwindlig machende Titel bei Anne Will "Ein Jahr Corona - Zeit für neue Perspektiven?". Die meiste Zeit schaute man aber eher verlegen auf die eigenen Füße.

Schon in den ersten fünf Minuten erdet Corinna Pietsch, die Leiterin des Instituts für Virologie am Universitätsklinikum in Leipzig alle luftigen Lockerungsträume und warnt vor den Mutanten des Coronavirus aus Großbritannien und Südafrika. Ihr gegenüber sitzt die leidende Wirtschaft mit ihren 220 000 geschlossenen Betrieben in Form der Einzelhandelskauffrau Brigitte Meier, deren Bekleidungsgeschäft seit Dezember geschlossen hat und die deutlich macht: "Ich bin extrem betroffen."

Womit auch schon die zwei interessantesten Gäste des Abends genannt sind, zwischen denen sich die wirkliche Diskussion abzeichnet: die leidenden Unternehmen und die immer noch katastrophal hohen Infektionszahlen. Wie es weitergehen soll, weiß keiner konkret (Stephan Weils Ideen: "mehr Masken, mehr Tests"). Also wird die Gegenwart analysiert, vielleicht kommt ja doch noch Stimmung auf.

Will schenkt eine Pointe zum Abschied

Das übernimmt Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier mit faszinierenden Monologen der Substanzlosigkeit: "Es ist richtig, dass wir wenig wissen." Während in anderen Ländern Corona bereits Vergangenheit ist, bestätigt er die dem Show-Titel diametral entgegenstehende Geisterhypothese: "Es ist richtig, dass das Virus neu ist." Und fasst seinen Kenntnisstand wenig später erneut zusammen: "Ich dachte, wir würden nach der zweiten Welle mehr wissen, viel mehr. Wir wissen: Wir haben ein Virus."

Als Meister des Irrealis und als wirklich schlechtester Partygast beweist sich der Bundeswirtschaftsminister dann, als es nach einer halben Stunde endlich ums Impfen geht. Ob denn wirklich alles Menschenmögliche gemacht worden sei bei der Impfstoffbestellung, fragt Anne Will. Während der Präsident des Ifo-Instituts, Clemens Fuest, immerhin zugibt: "Wir haben dicke Fehler gemacht", hangelt sich Altmaier von Konjunktiv zu Konjunktiv. Er hätte, wäre und würde ja, sagt dann aber, dass er sich beim "Impfgipfel" an diesem Montag ganz auf seinen Kollegen Jens Spahn verlassen muss.

Auf die Frage, warum Deutschland beim Impfen im internationalen Vergleich hinter Israel, den USA oder Großbritannien herhinkt, weiß er auch nicht weiter. "Ich war nicht dabei, als die Verträge ausgehandelt wurden." Und zitiert dann das heilige Schutzmantra des Regierungspolitikers: "Ich finde, wir sollten vorsichtig sein mit Fehlerzuweisungen."

Gegen Ende hakt die Gastgeberin schließlich ungläubig nach und fragt mit Blick auf den Impfgipfel am nächsten Tag, ob er sich denn nicht vorbereitet habe. Als Altmaier davon spricht, dass es vielleicht noch Pharmaunternehmen gäbe, die vielleicht noch Kapazitäten hätten, Impfdosen zu produzieren, dies aber, warum auch immer (Faulheit? Allgemeine Lebenszufriedenheit? Netflix?) nicht tun, rollt Anne Will ihre Moderationskarten zusammen: "Das wissen Sie doch hoffentlich schon, bevor Sie da morgen zusammenkommen." Weiß er nicht.

Mit müdem Lächeln verabschiedet Anne Will ihre Gäste: Wer ein Pharmaunternehmen habe, das zufällig gern Impfstoffe herstelle, solle sich doch melden. Und schenkt damit, immerhin, eine Pointe zum Abschied.

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