Süddeutsche Zeitung

"Anne Will" zu Corona-Hilfsgeldern:In die alte Zeit zurück

Lesezeit: 3 min

"Anne Will" reanimiert am Sonntagabend uralte Debatten zur europäischen Solidarität und der Vertrauenswürdigkeit von Südeuropa. Bei aller Eurokrisen-Nostalgie wird aber deutlich, dass man dazugelernt hat - zumindest manche.

Nachtkritik von Quentin Lichtblau

Viertel vor zehn, Anne Will diskutiert über Schulden und die Grenzen der Solidarität in Europa - wer sich in den vergangenen Corona-Wochen ein Stück Normalität zurückgewünscht hat, konnte am Sonntagabend in entspannender Nostalgie baden. In der Sendung zum Thema "Milliarden gegen die Krise - wird das Geld richtig investiert?" wirkte zunächst wie eine Zeitreise in Debatten aus Zeiten der Eurokrise: Wenn man diesen Südeuropäern unter die Arme greift, verplempern die das denn nicht alles? Werden dann nicht die deutschen Steuerzahler, oder, Gott bewahre, deren arme Kinder, den Preis bezahlen müssen? Dass derlei Schreckensszenarien in der vergangenen Krise nicht eingetreten sind, scheint sie auch in aktuellen Corona-Zeiten nicht weniger attraktiv zu machen.

Ein bisschen was hat man dann offenbar doch dazugelernt: Finanzminister Olaf Scholz hatte etwa vergangene Woche gesagt, dass man gegen eine Krise "nicht ansparen" könne. Diese Erkenntnis hätte man der deutschen Politik damals auch gegenüber Griechenland gewünscht. Die Sendung hält hier mit Zitat-Einspielern seines schwäbisch-eisernen Amtsvorgängers Schäuble dagegen, außerdem hat man Reiner Holznagel vom Verein Bund der Steuerzahler eingeladen, der wie gewohnt vor den guten, alten Schuldenbergen warnt und sich selbst im Fall von EU-Hilfen ein "schwieriges Verhältnis zur Solidarität" attestiert.

Außerdem sitzen Grünen-Chefin Annalena Baerbock, der CDU-Abgeordnete Carsten Linnemann und Monika Schnitzer vom Sachverständigenrat für gesamtwirtschaftliche Entwicklung in der Runde, die schon nach wenigen Minuten bei einer Riesen-Diskussion über die Möglichkeit einer Zukunft als "Vereinigte Staaten von Europa" landen. So wirklich konkret wird es hier nicht, Konsens in der Runde ist allerdings, das man als einzelnes Land in einer künftig absehbar multipolaren Welt eher schlecht dastünde und eine höheres Maß an europäischem Zusammenhalt hier möglicherweise sogar souveränitäts-förderlich wäre.

Anschließend schwenkt man zurück zu den ganz aktuellen Plänen von Angela Merkel und Emmanuel Macron, die kürzlich ein 500-Milliarden-Euro-Programm zum "Wiederaufbau" Europas vorgeschlagen hatten. Schnitzer stimmt der Idee zu, sie sei "ein Weg in die richtige Richtung", Geld müsse allerdings in wirtschaftlich nachhaltige Bereiche fließen, wie etwa einen Green Deal, in Gesundheit und Digitalisierung.

Kritischer sieht sie Kaufprämien für die Automobilindustrie, die, falls sie auch für Verbrennungsmotoren einlösbar wären. Die Automobilindustrie habe die Zukunft hier "schon lange verschlafen". Dass Annalena Baerbock hier nickt, überrascht wenig, interessanter ist hier die gemäßigte Zustimmung von CDU-Mann Linnemann, der später noch ausführt, dass auch er mit Blick auf Automobile "alte Geschäftsmodelle nicht verlängern" möchte. "Wir dürfen nicht in die alte Zeit zurück", sagt er, "wir gehen sonst kaputt" - die Automobilindustrie müsse wenn, dann transformativ unterstützt werden. Als Baerbock ihn daraufhin festnageln will, ob er dementsprechend die Förderung von Verbrenner-Technologie ablehne, rudert er allerdings ungalant zurück: "Den Verbrennungsmotor werden wir weiter brauchen", womit dann nicht ganz klar wird, wie für ihn die "neue Zeit" denn nun eigentlich aussehen soll, Hauptsache "nach vorne gerichtet und nicht in die Vergangenheit".

In puncto Uneindeutigkeit übertrifft ihn dann noch Finanzminister Scholz im letzten Block der Sendung, in dem es noch kurz um die aufgrund von anstehender Rezession und der weiterhin nur zögerlichen Öffnung von Schulen geplagten Familien gehen soll. Angesprochen auf seinen Plan eines einmaligen Krisen-"Familien-Bonus" von 300 Euro - laut Baerbock viel zu wenig Geld für gerade besonders belastete Familien mit wenig Einkommen -, stellt er zumindest in Aussicht, dass Hartz-IV-Empfänger diesen nicht von ihren Leistungen abziehen müssten. Und um das eben Gesagte zu unterfüttern, gibt er dann noch folgenden Bewusstseinsstrom zum Besten, zu dem man als Zuschauer in wohliger Talkshow-Nostalgie einschlafen konnte: "Ich glaube, dass man nicht so ausschließlich argumentieren sollte, das eine machen und das andere nicht machen, sondern ich glaube, wir müssen, und da sind alle Ministerinnen und Minister in den Ländern richtig hinterher, von allen Parteien, Jugendminister, Bildungsministerinnnen und Bildungsminister, dass man alles dafür tut, dass ein möglichst umfassendes Angebot gewährleistet werden kann, das ist notwendig und gleichzeitig müssen wir die Kinder schützen, dass sie nicht gewissermaßen infiziert werden - und das ist nunmal kompliziert." Gute Nacht!

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