Süddeutsche Zeitung

"16 x Deutschland" in der ARD:Angenehm zerkratzt

Lesezeit: 3 min

Was ist das, Heimat in Deutschland? 16 deutsche Schauspieler, Moderatoren und Reporter fahren in ihr Bundesland, um es mit der Kamera zu entdecken. Sie reisen mit einem besonderen Blick.

Von Holger Gertz

Udo Wachtveitl zum Beispiel ist nicht nur Tatort-Kommissar, sondern auch Regisseur und vor allem Autor. Das merkt man seinem Porträt des Bundeslandes Bayern an, mit angenehm zerkratzter Erzählerstimme legt Wachtveitl vollendet formulierte Weisheiten über die Bilder aus dem Trachtenstaat. "Kein deutsches Land ist ein so zuverlässiger Lieferant für Stimmungen, Klischees und Bilder wie Bayern", sagt er. Oder: "Neben Autos und Spitzenfußball produziert Bayern sein eigenes Image." Dass der Dokumentarfilmer Wachtveitl die Autos und Spitzenfußballer dann nicht weiter ausleuchtet, spricht für seine Bereitschaft, die Nische zu suchen. Wachtveitl umreißt die Marke Bayern, indem er entlegenere Winkel besucht: die Kommission für Mundartforschung in der Akademie der Wissenschaften. Die Gnadenkapelle in Altötting. Und das Oktoberfest, unterhalb der Bavaria - zu einer Jahreszeit, wo grad kein Oktoberfest ist.

16x Deutschland heißt das Projekt der Dokumentarfilmredaktionen der ARD. Jedes Bundesland wird vorgestellt in einem viertelstündigen Porträt. 16-mal deutscher Alltag, betrachtet durch das Temperament sehr unterschiedlicher Filmemacher, die sich auskennen in einer Region, die für sie Heimat immer war oder auf Umwegen geworden ist. Brandenburg, gesehen von Andreas Dresen. Berlin, gesehen von Sandra Maischberger. Baden-Württemberg, gesehen von Andres Veiel. Vier Stunden Sendezeit am Samstag- und Sonntagnachmittag - viel Raum für ein Kontrastprogramm zum bräsigen Landlust-Bilderteppich, den sonst tagtäglich jemand knüpft. Und eine Art Wiedergutmachung des öffentlich-rechtlichen Systems am Dokumentarfilm, der üblicherweise in die Schattenwelt des Spätprogramms verbannt wird, jenseits von Zamperoni. Dass dem dokumentarischen Fernsehen in der ARD "immer wieder Freiräume und Möglichkeiten" eröffnet würden, steht im Presseheft zu 16x Deutschland. Eine dann doch recht dreiste Behauptung, wenn man an grandiose Filme wie "Die Anwälte - eine deutsche Geschichte" oder "Die Königin von Versailles" denkt; Programmperlen, die im Freiraum der Nacht verstreut wurden.

So lieblos der Umgang mit dem Genre üblicherweise ist, so liebevoll nähern sich die Autoren der Deutschlandfilme ihrem Objekt. Wachtveitl formuliert wie Georg Stefan Troller und erlebt doch, dass das gesprochene Wort weniger wirkt als das sprechende Bild: Wie er in Altötting einem Afrikaner gegenübersteht, der die Bibelsprüche auf den Kerzen so mag. "If you burn the candle, the message will disappear", sagt Wachtveitl. "But slowly, slowly", sagt da der fremde Mann.

Während Wachtveitl das allgemeingültige Bayernbild in frischen Farben malt, findet Jan Böhmermann einen neuen Rahmen für das Porträt seiner Heimatstadt. Warum ist das kleine Bremen eigentlich ein unabhängiges Bundesland? Das ist die Ausgangsfrage. Der Moderator Böhmermann erzählt eine Familiengeschichte, die bei seinem Ur-Ur-Großonkel anfängt, der als Kapitän bis nach Afrika gefahren ist, von wo er geheime Schätze heimgebracht haben könnte. Böhmermann muss sich bei seiner Recherche von einem Pförtner des Bremer Rathauses anbellen lassen, in diesem Tonfall, der jedem Exilbremer wie warmer Heimatklang vorkommt. Die Geschichte reicht bis zu einem verwitterten Ziegelstein-Elefanten hinterm Hauptbahnhof und mündet in der vagen Gewissheit, dass Bremen zwar klein ist, aber womöglich weniger arm, als gedacht: Allein der Elefant kennt das letzte Geheimnis.

Alle Autoren nehmen das Land in den Sucher oder den Menschen im Land; sie bemühen sich, das Kleine im Großen zu entdecken. Bemerkenswert ist der Blick gerade jener, die nicht hauptberuflich als Regisseur arbeiten. Der Schauspieler Charly Hübner, in Mecklenburg-Vorpommern geboren und dort auch als Polizeiruf-Kommissar im Einsatz, porträtiert seine Heimat als Region, in der Schönheit und Schmerz sich begegnen. Ein Film ohne Stimme aus dem Off, Hübner lässt Bauern, Schäfer und Fischer wortkarg von einer Landschaft schwärmen, die auch ausgiebig gezeigt wird. Dann tritt ein Mensch namens Monchi ins Bild, Sänger der Punkband Feine Sahne Fischfilet, Antifaschist. Monchi sagt das, was gesagt werden muss, um die Stimmung des Films zu brechen. Mecklenburg, das ist für ihn: "Erstmal 'n geiles Meer. Aber auch 40 000 Rassisten, die die NPD wählen." Hübner dokumentiert eine Versammlung der Kahlrasierten und Specknacken, man hört eine Hetzrede. Er konfrontiert die Bauern, Schäfer und Fischer mit den Parolen, auch die mecklenburgischen Politiker. Und die Kamera tastet sich durch Landschaften genauso wie durch Gesichtslandschaften und macht für einen Augenblick die sonst verborgenen inneren Kämpfe in einem Bundesland sichtbar, das stigmatisiert ist wie kein anderes.

Hübner gehört zu denen, die den Mut haben, dort hinzugehen, wo es schmutzig wird und stinkt. Andere vertrauen darauf, dass man auch aus ironischer Distanz klar sehen kann. Die Deutsch-Koreanerin Sung -Hyung Cho erklärt, wie man Hessin wird. Sie besucht einen Mann in ihrer Nachbarschaft in Eschbach, der täglich am Zaun werkelt. Sie sagt: "Das ist der sauberste Zaun von Eschbach." Auch so wird man Hessin: indem man die Hessen lobt. Sung Hyung Cho steht in einer Metzgerei und sagt den unvergesslichen Satz: "Ich bin stolz auf das Fleisch hier in Eschbach." Die Eschbacherin neben ihr stimmt ihr sehr gern zu.

Aber zu Hause bewahrt sie die Zutaten für ihre koreanischen Leibspeisen immer noch in einem eigenen Bereich auf, weil ihr deutscher Mann den Geruch nicht erträgt. "Getrennte Kühlschränke gehören zu unserer Ehe", sagt Sung Hyung Cho, die bei ihrer Hessinwerdung ziemlich weit gekommen ist, aber nicht ans Ziel. Auch davon erzählt dieses schöne Filmprojekt: Heimat, das ist kein Ort, nur eine Idee.

16x Deutschland , ARD, Samstag Teil 1, 16 Uhr; ARD, Sonntag Teil 2, 16 Uhr.

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Quelle:
SZ vom 04.10.2013
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