Süddeutsche Zeitung

Werbung:Diese Unterwäsche-Werbung ist ein Skandal! Ein Skandal?

Lesezeit: 4 min

Das Netz regt sich gerade über eine Kampagne des Wäscheherstellers Palmers auf. Das kann die Absicht des Unternehmens sein - oder einfach nur schlecht gemacht. Entsprechend beeinflusst es die Verkaufszahlen.

Von Laura Hertreiter und Hannes Vollmuth

Das Erschreckende ist nicht, dass sie fast nackt ist, das Erschreckende ist nicht, dass sie schwindelerregend dünn ist. Das Erschreckende ist: Man hat sie totenblass in einen kahlen Raum gesetzt, in dem die Fliesen von der Wand bröckeln und Geäst von der Decke hängt. Es ist ein Ort, an den Menschen verschleppt oder Tiere zum Schlachten gebracht werden. Und so sitzt sie da, in Unterhose und BH, auf einem Holzblock, ein Opfer.

Seit der Wäschehersteller Palmers das Foto der Frau in österreichischen Läden aufhängen ließ, herrscht Unwohlsein bis Entsetzen bei den Passanten, wie sich aus Netzkommentaren ablesen lässt. Ein zweites Kampagnenbild zeigt sechs Frauen in Höschen, bäuchlings auf dem Boden, Gesichter zur dreckigen Wand. "Unsere Osterhöschen", heißt das Motiv. Bei Corinna Milborn, Moderatorin und Nachrichten-Chefin des österreichischen Privatsenders Puls 4, und bei vielen anderen weckt es ganz andere Assoziationen.

"Das erinnert mich an meine Recherchen zu Menschenhandel", schrieb sie auf Facebook. Daraufhin unterstellte ihr der als Stratosphärenspringer bekannt gewordene Felix Baumgartner so tölpelhaft wie beleidigend: Sie habe das Foto aus Unzufriedenheit mit ihrer eigenen Figur kritisiert. Und schon war das erforderliche Level an Aufmerksamkeit erreicht: Die Welt hat einen neuen Werbeskandal.

Ein wohlkalkulierter Skandal kann die Verkaufszahlen in die Höhe jagen

Größtmögliche Aufmerksamkeit ist das oberste Ziel in der Werbebranche. Interesse fesseln, Blicke einfangen, Gefühle kitzeln: Das ist die Kernkompetenz einer guten Kampagne. Oder wie es Christina Holtz-Bacha sagt: "Ein Skandal eignet sich für größtmögliche Aufmerksamkeit allemal." Sie ist Professorin für Kommunikationswissenschaft an der Universität Erlangen-Nürnberg, sie sagt: "Wir erwarten von der Werbung immer eine heile Welt", wenn diese Erwartung gebrochen wird, sei die Aufmerksamkeit sofort da.

Und ein wohlkalkulierter Skandal kann die Verkaufszahlen ordentlich in die Höhe jagen. Als US-Designer Calvin Klein die damals 15 Jahre alte Schauspielerin Brooke Shields Anfang der Achtzigerjahre mit lasziv aufgeknöpfter Bluse posieren ließ, war die Empörung zwar enorm - der Jeansverkauf aber ebenso.

Was momentan Aufmerksamkeit sichert: eine problematische Pornofantasie

Eine aufgeknöpfte Bluse provoziert heute längst nicht mehr. Es ist 24 Jahre her, dass sich Kate Moss für ein Parfum splitternackt auf einem Sofa räkelte, heute tapezieren Firmen wie Calzedonia und Intimissimi ganze Städte mit superjungen Frauen in Spitzenwäsche, und niemanden stört es. Das Internet hat Bilder von primären wie sekundären Geschlechtsteilen inzwischen normal gemacht. Für Aufreger müssen Werbeagenturen heute einen Gang höherschalten - und tun das auch.

Vor einigen Wochen erst rügte die französische Werbeaufsicht die Kampagne des Modehauses Yves Saint Laurent. Sie zeigt knochige Models, mit gespreizten Beinen, sie sehen aus, als hätte man sie auf den Boden geworfen oder über Hocker vornübergebeugt. Das ist er also momentan, der Stoff, der die Aufmerksamkeit sichert: eine problematische Pornofantasie.

In sozialen Netzwerken wütet ein Shitstorm nach dem anderen, man könnte meinen, in der Branche ginge es nur noch um den Tabubruch. Aber ist das auch so?

"Der Werbeskandal ist ein Werbeskandal, weil er selten ist", sagt Guido Zurstiege, Professor am Institut für Medienwissenschaft an der Universität Tübingen. Deshalb sind Plakatwände und Fernsehen eben nicht voll von anorektischen, nackten Frauen in obszönen Posen. Vielmehr ist langweiliger Durchschnitt angesagt. Gerade große Konzerne scheuten das Risiko, das ein Werbeskandal mit sich bringt, sagt der Medienwissenschaftler.

Gleichzeitig aber befeuert das Internet den Kampf um Aufmerksamkeit. Dementsprechend brutal, krass und nackt sind auch die Bilder. Kontrollen? Kaum. Und jeder kann dort die Werbekeule schwingen. Der Deutsche Werberat rügt heute fast nur noch Anzeigen kleinerer Unternehmen: plump hochgezogene Röcke, flache Männerwitze, solche Sachen. Nur die Mode- und Parfumindustrie setzt ab und zu noch fast klassisch auf den Skandal. "Gehört zum Image", sagt Zurstiege. Denn womit provoziert man heute? Am besten, indem man mehrere Tabus kombiniert. Vor einigen Jahren warb eine Organisation für eine Aids-Kampagne mit Hitler, der eine junge Frau von hinten nimmt; und eine Bekleidungsfirma veröffentlichte Fotos, die an Sodomie erinnern.

Denn der Skandal ist immer nur ein Skandal im Spiegel seiner Zeit. Er sagt viel aus über die jeweiligen Moralvorstellungen, Schönheitsideale, Vorlieben und Tabus. Problemlos könnte man mit Werbeskandalen eine Mentalitätsgeschichte der Bundesrepublik und darüber hinaus erzählen. Nackte Strumpfbeine in den Fünfzigern, berauschte Nonnen 1968, immer nackter werdende Frauen, die berühmten Benetton-Schockbilder während des Bosnien-Kriegs. Die Kommunikationsprofessorin Holtz-Bacha sagt fast enttäuscht: "Manche Werbung, die ich fragwürdig finde, wollen meine Studentinnen gar nicht mehr diskutieren."

Im schlechtesten Fall wird der Skandal zum PR-Desaster

Im besten Fall ist ein Werbeskandal ein durchchoreografierter Balanceakt, ein homöophatischer Skandal, wie es der Medienwissenschaftler Zurstiege nennt. Der Skandal rührt an Tabus, überrascht die Sehgewohnheiten, erzeugt Emotionen und rückt eine Marke so in den Fokus. Im schlechtesten Fall wird er zum PR-Desaster. "Wenn die Werbung zu krass ist, überstrahlt das komplett das Produkt und den Markennamen, dann ist der Effekt gleich null", sagt Zurstiege. Selbst für Benetton, über die in den Neunzigern jeder redete, habe sich der damit verbundene Ärger wahrscheinlich nicht gelohnt, schätzen Experten. Die großen Agenturen arbeiteten inzwischen alle nach strengen ethischen und moralischen Standards. "Niemand riskiert einen Shitstorm für ein Unternehmen, das Dax-notiert ist."

Eigentlich hilft der wohldosierte Skandal ja allen: dem Unternehmen, das mehr Hosen oder Höschen verkauft. Den Leuten, die etwas zu berichten haben.

Der verantwortlichen Werbeagentur. Nur im aktuellen Palmers-Fall wirkt die Kampagne so unbeholfen wie die Reaktion des Unternehmens auf die Empörung. Menschen beschwerten sich beim Werberat, sie wurde als "unethisch", "frauenfeindlich" und "menschenverachtend" kritisiert. Geschäftsführer Marc Wieser ließ am Donnerstag eine lyrisch-verworrene Stellungnahme veröffentlichen - die erneut für Ärger sorgte. "Inspiration für die aktuelle Frühling-Sommer-Kampagne war die Natur selbst, die Zyklen der Natur und die Erneuerung und Wiedergeburt des Frühlings nach dem Winter", schrieb er, "wir zeigen die besondere Rolle der Frau, die mit ,Mutter Natur' assoziiert Gleichgewicht in unser geordnetes Chaos bringt." In einer Zeit, in der Frauen seit Jahrzehnten gegen eine ihnen zugeschriebene Sonderrolle kämpfen, folgte der nächste Shitstorm.

Anruf bei Gerald Pachler, Marketingleiter bei Palmers. Er klingt gelassen. "Wir wollen nicht provozieren, wir wollten nur schöne Wäsche darstellen", sagt er. Und: "Frauen, die sich auf einem Bett räkeln, kennt man schon, wir wollten mal was anderes ausprobieren, so im Vintage-Look." Im Fall der Osterhöschen sei es ganz einfach so gewesen, dass es in der Kollektion zu den Unterhosen keine Oberteile gibt. Dann wäre das ja geklärt.

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Quelle:
SZ vom 22.04.2017
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