Süddeutsche Zeitung

Trendsport:Bingo, aber mit Bewegung 

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Steffi Graf spielt es, Leonardo DiCaprio auch: Pickleball ist angenehm entschleunigend - und wahrscheinlich genau deshalb der Trendsport der Stunde.

Von Jan Kedves

Wie viele Rückschlagspiele mit Netz braucht die Welt? Noch eins mehr. Pickleball ließe sich mit "Saure-Gurken-Ball" übersetzen, aber man schlägt hier keine Gürkchen hin und her, sondern einen neongelben, gelöcherten Ball aus Hartplastik. Er sieht aus, als sei er aus radioaktivem Emmentaler Käse geschält. Beim Flug pfeift die Luft durch ihn hindurch, was aerodynamisch als Bremse funktioniert. "Die Geschwindigkeit liegt in der Regel bei einem Drittel der Durchschnittsgeschwindigkeit eines Tennisballs", schreibt die Pickleball-Abteilung des Berliner Sportvereins TSV Spandau 1860 im Infoblatt zu ihrem freitäglichen Pickleball-Training.

Pickleball ist ein entschleunigter Sport, deswegen ist er schonmal wesentlich Kreuzband- und Meniskus-freundlicher als Tennis oder Squash. Das macht einen Großteil des Appeals aus. Erfunden wurde die Sportart vor mehr als 50 Jahren in den USA, in Florida, wo sich auch gleich die ersten Fans fanden: in den Rentner-Resorts des Bundesstaats. Da also, wo man sonst Bingo spielt, um im Kopf nicht ganz einzurosten. Die ersten deutschen Vereine gründeten sich 2013. Einen Deutschen Pickleball Bund e. V. gibt es auch, seit 2017, er zählt inzwischen über 55 Vereine.

"Pickleball ist ein schöner Sport für die ganze Familie", sagt Silke-Angelika Schaudig. Die 58-Jährige organisiert das Training in Spandau, jeden Freitagabend. Als Spielerin ist sie schon bei diversen Meisterschaften angetreten. Schaudig betont, dass Pickleball aber eigentlich kein kompetitiver, sondern ein entspannter Sport sei. Ein Sport, bei dem die Freude am Zusammenspiel im Vordergrund stehe. In Spandau spielt man seit 2014, auf Feldern der Größe von Badminton-Feldern, mit Netzen in Höhe eines Tennisnetzes, und mit harten Plastikschlägern, die an Tischtennisschläger erinnern (und gleichzeitig ein bisschen an Paddel).

Sogar einst sehr kompetitive Tennisprofis schwärmen inzwischen von Pickleball. Steffi Graf, 52, erzählte vor einigen Monaten im Interview mit Gala, Pickleball sei ihr neuer Lieblingsport: "Es ist einfach und schnell zu lernen. Selbst unsere Tochter, die zwar sportlich ist, es aber nicht so mit Ballsportarten hat, mag Pickleball sehr gerne. Und für meinen Mann und mich ist es auch viel leichter, wenn der Körper mal wieder zwickt." Ja, auch ehemalige Nummer einsen der Tennis-Weltrangliste sind eben nur Menschen mit verschleißenden Körpern. Irgendwie ist das doch eine schöne Vorstellung: wie Graf und ihr Gatte Andre Agassi, auch schon 51, sich über ihre Wehwehchen austauschen und dann sagen: "Ach komm, eine Runde Pickleball packen wir noch!" Auch Hollywood-Stars wie Leonardo DiCaprio und George Clooney sind einer Partie nicht abgeneigt, weiß Vanity Fair ganz aufgeregt zu berichten.

Pickleball wird meist im Doppel gespielt. In den Rentner-Resorts von Florida treten gerne befreundete Ehepaare gegeneinander an. Zu viel Ehrgeiz belastet nur die Beziehungen, daher ist es verpönt, sich abzuschießen. Man will doch beim Abendessen noch anstoßen! Ausnahmen gibt es wie immer, beziehungsweise: Klar, dass sich unter den 4,8 Millionen Menschen, die nach Angaben der USA Pickleball Association in den USA gerne diesen Sport spielen, auch welche sind, die der Ehrgeiz packt. Zu ihnen gehört Rick Barry. Der 77-jährige ehemalige Basketball-Profi ist zwei Meter groß und Mitglied der "Basketball Hall of Fame". In seinen arthritischen Knien befindet sich kein Knorpel mehr, nach einem Fahrradunfall saß er schon mal drei Monate lang im Rollstuhl. Pickleball spielen geht trotzdem noch, Barry will Champion in seiner Altersgruppe werden!

Gleichzeitig scheint der Sport jüngere Menschen anzuziehen, die es im Tennis nicht ganz nach oben geschafft haben. Zu den bekanntesten Spielern in den USA gehören Lucy Kovalova und Tyson McGuffin. Sie war einst in ihrer Heimat, der Slowakei, in der Junioren-Tennisnationalmannschaft, er ist der aktuelle amerikanische Pickleball-Champion und spielte vorher auch Tennis. Sind Pickleball-Spieler so etwas wie die Bratscher im Orchester der Netz-Ballsportarten?

Von übersteigertem Ehrgeiz ist in Spandau dann aber nicht viel zu merken. Kinder im Alter von fünf Jahren spielen hier zusammen mit Damen um die 60. Der älteste Pickleball-Fan im Verein sei über 80, erzählt Silke-Angelika Schaudig, das Geschlechterverhältnis ausgewogen. Die Trainerin Annabell Tröndle, 34, erklärt die Regeln, und die sind gar nicht so unkompliziert, wie man dachte. Zum Beispiel darf man erst in den vorderen Bereich des Spielfelds, genannt "Küche", treten, wenn der gegnerische Ball dort schon einmal aufgeschlagen ist. Pickleball mag körperlich vergleichsweise entspannt sein, aber die Birne oben muss schon arbeiten, während der Ball auf einen zufliegt mit diesem Sound, der irgendwo zwischen dem hohen Ping-Pong des Tischtennis und dem knackigen Twomp-Twomp des Tennisballs liegt. Man denke: Bingo, aber schon mit Bewegung.

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