Süddeutsche Zeitung

Serie: Meine Leidenschaft:"Ich bin Typ Feuer"

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Er performt zu Technosound, verkörpert einen NS-Funktionär oder ermittelt als blinder Kommissar: Der Schauspieler Philipp Hochmair geht in seiner Kunst bis ans Äußerste. Da muss wenigstens das Essen meditativ sein.

Von Verena Mayer

In den ersten fünfzehn Minuten, die man mit Philipp Hochmair verbracht hat, ist Folgendes passiert: Der Schauspieler hat seinen Koffer zu seiner Berliner Wohnung hochgeschleppt, weil er gerade aus Südtirol kommt, wo er zwei verschiedene Solo-Abende gegeben hat, Goethes "Werther" und Kafkas "Amerika". Er hat den Koffer ausgeräumt, sein T-Shirt ausgezogen und sich einen schwarzen Zylinderhut aufgesetzt. Er hat eine CD aufgelegt, die er selbst gestaltet hat, Schiller-Balladen kombiniert mit Techno-Musik, was einen sehr lauten, sehr rhythmischen Sound ergibt. Zu dem ist Hochmair durch die Küche getanzt, während er erzählt hat, dass in zwei Stunden sein Nachtzug geht, weil er am nächsten Tag für Dreharbeiten in Wien sein muss.

Nach diesen fünfzehn Minuten ist klar, warum die Zeitschrift Theater heute den Schauspieler einmal als "Körperterroristen" bezeichnete, was als Kompliment gemeint war. Dort hieß es: "Er hat zwar ein kindliches Gemüt und sieht aus wie Schwiegermuttis Liebling, aber es wühlt der wilde Mann in ihm drin." Ob der 49-Jährige in Stücken von Elfriede Jelinek oder Peter Handke über die Bühne tobte, ob er in einer Art Ein-Mann-Sprechkonzert einen "Jedermann"-Monolog performte oder in Fernsehserien über Sigmund Freud oder die Berliner Charité komplexe Figuren spielte - Hochmair geht in seiner Kunst regelmäßig bis ans Äußerste. Er schont niemanden, am allerwenigsten sich selbst.

Nach den ersten Minuten in Hochmairs kleiner Wohnung ist aber auch klar: Wer mit einer solchen Energie unterwegs ist, braucht etwas, das ihn wieder runterbringt. Bei Hochmair ist es das Essen beziehungsweise die Art, wie er es zubereitet: nämlich ayurvedisch. Hochmair schnippelt gelbe Karotten, während er Kokosfett in einer Pfanne erhitzt. Die Pfanne wird er nachher mitsamt der Doppel-Kochplatte auf den Balkon tragen, sie auf einen Tisch mit Weißweinessig, Kräutern, getrockneten Orangenschalen und einer Kaffeemühle mit Pfeffer stellen und vor der Kulisse stiller Berliner Hinterhöfe eine Mini-Kochshow abziehen. Als gehöre es zur Pflicht eines Gastgebers, der Schauspieler von Beruf ist, auch ein kleines Schauspiel vorzuführen.

Aber bis dahin erzählt Hochmair erst einmal, wie er, der Österreicher, überhaupt zu Ayurveda, der indischen Heilkunst, kam. Die längste Zeit habe er sich auf Raststätten von Hotdogs und Dosenbier ernährt oder auf Filmsets das Catering-Essen in sich hineingeschlungen. "Aber das geht sich in meinem Alter nicht mehr aus", sagt er. "Wenn du auf Knopfdruck funktionieren möchtest, musst du dich richtig ernähren."

In der Schule merkte er, dass er Leute in seinen Bann ziehen kann

Wenn er redet, blitzt sein Wiener Akzent durch. Hochmair ist als Kind einer Pulmologin in Wien aufgewachsen, die nebenbei als Theaterärztin arbeitete. Der Sohn durfte mit ins Burgtheater oder in die Staatsoper oder war dabei, wenn die Mutter einer Operndiva mit Husten half. Damals habe ihn die Schauspielerei bereits fasziniert, das endgültige Erweckungserlebnis hatte er aber erst in der Schule, als eine Lehrerin in die Klasse fragte, ob jemand eine Ballade aufsagen könne. Hochmair konnte, er hatte Goethes "Totentanz" einstudiert, weil ihm der Text so gut gefiel. Er sprang auf den Tisch, begann zu rezitieren - und merkte, dass er damit Leute in den Bann ziehen konnte. Dabei sei es im Grunde bis heute geblieben, sagt Hochmair, und um das gut machen zu können, brauche sein Körper eben "das richtige Benzin".

Doch aufgewachsen ist Hochmair mit einem österreichisch-barocken Begriff von Kulinarik. Üppig muss es sein, der Alkohol muss fließen, "man hat ein Bild im Kopf von Braten und Wein als Sinnbild für Glück". Die Theaterwelt ist auch nicht gerade ein Ort der Achtsamkeit, nach den Vorstellungen saß Hochmair mit Kolleginnen und Kollegen in der Kantine zusammen, aß, trank, rauchte. Irgendwann sei ihm das alles zu viel geworden, nach einem Essen mit Tintenfisch und Rotwein sei er regelrecht ausgeknockt gewesen, habe sich gefühlt, als habe er "einen Blattschuss in den Bauch" bekommen. Jemand gab ihm den Tipp, eine Ayurveda-Kur zu machen.

Also fuhr Hochmair ins indische Kerala und begann, sich mit den Prinzipien von Ayurveda beschäftigen. Dass es verschiedene Typen von Persönlichkeit gibt, die von den Elementen Feuer, Erde, Wasser, Luft und Äther beeinflusst werden. Je nachdem, welches Element dominiert, ernährt man sich dann. Er selbst sei "Typ Feuer", sagt Hochmair, wenig überraschend, und brauche demnach Lebensmittel, die ihn runterkühlen und beruhigen, Dinge wie Joghurt, Gurken, Sellerie, Zitrone.

Auf dem Herd köchelt nun das Gemüse. Er habe irgendwann erkannt, dass "Kasteiung der Schlüssel ist und nicht die Belohnung der Wünsche". Hochmair schiebt die Pfanne zur Seite, holt seinen Laptop und spielt Videos seiner Performances vor, die er "Literatur-Rave" nennt. Die "Glocke" und die "Bürgschaft" von Schiller, abgemischt mit Techno-Musik. Da sieht man ihn in orangefarbenen Hosen und Bauarbeiter-Helm, wie er zwischen Mischpulten und Trockeneis auf und ab läuft und in ein Megaphon Schillers Sätze, ja was eigentlich, rappt, rezitiert? Hochmair macht das Fenster zu und dreht die Lautstärke hoch. Man hört den Video-Hochmair "Alles rennet, rettet, flüchtet, taghell ist die Nacht gelichtet" deklamieren, während der echte Hochmair in seiner Küche sagt, dass das Performen seine liebste Kunstform geworden sei, "eine moderne Art, Literatur aufrechtzuerhalten".

Bekannt wurde er allerdings mit klassischen Fernsehfilmrollen. So wie der blinde Kommissar im ARD-Krimi "Blind ermittelt", die in Wien spielt (die nächste Folge läuft am 11. Mai). Für die Rolle habe er sich an "einen Blinden herangetastet", sagt Hochmair, er habe blinde Menschen getroffen, und sich die Ausstellung "Dialog im Dunkeln" angesehen, die die Wahrnehmung blinder Menschen nachempfindet. Herausgekommen ist eine Reihe, in der ein blinder Mann ganz selbstverständlich Tatort-Arbeit macht und Mörder jagt, und man ist einmal mehr verblüfft, wie fortschrittlich die Gesellschaft ausgerechnet in deutschen Fernsehkrimis ist. Da bekommt man all die Dinge vorgelebt, die in Deutschland längst nicht selbstverständlich sind, schon gar nicht bei den Ermittlungsbehörden. Eine alleinerziehende Mutter ist genauso Kommissarin wie eine schwarze Frau, und jetzt eben ein Mann mit Behinderung.

Den Durchbruch aber hatte Hochmair mit seiner Darstellung von Reinhard Heydrich in dem Film "Die Wannseekonferenz". Hochmair spielt Heydrich darin als beflissene Führungskraft, für die der Massenmord ein Tagesordnungspunkt wie jeder andere ist. Selten wurde die bürokratische Maschinerie des Nationalsozialismus so eindrücklich in Szene gesetzt wie in diesem Film. Die Produktion erhielt zahlreiche Preise, darunter den Prix Europa, und wurde auch außerhalb Deutschland bekannt. Es würde einen nicht wundern, wenn Hochmair demnächst für eine internationale Produktion angefragt würde. Hat er Sorge, nun auf Nazi-Rollen festgelegt zu werden? Überhaupt nicht, sagt Hochmair, er würde auch weitere solcher Rollen annehmen. "Das ist ein Teil unserer Geschichte, die nicht auserzählt ist. Die Verarbeitung dieses Kapitels ist noch nicht abgeschlossen."

Doch erst einmal ist er in der Gegenwart. Der Nachtzug nach Wien fährt bald ab, Hochmair, der sich selbst "Koch-Raver" nennt, muss sein Essen fertig bekommen. Das sollte einfach und gesund sein, Reis mit Gemüse, manchmal gibt es Huhn oder Lachs dazu, manchmal macht sich Hochmair auch nur eine leichte Suppe. Der lebenshungrige Nomade, der er sei, "das wilde Tier", das aus ihm rausbricht, "will fressen, kämpfen, schreien. Es muss aber an die Kette genommen werden".

Keine Leidenschaft ohne Zubehör. Diese Gegenstände benötigt Philipp Hochmair zum Kochen:

Das Beil

"Das Beil, das ich zum Schnippeln verwende, ist wie auch viele Töpfe und Pfannen vom Flohmarkt. Das hat Nachhaltigkeitsgründe, man nutzt Dinge, die schon da sind. Vor allem aber liebe ich es, wenn Dinge eine Geschichte haben. Die Aura, das Leben - das überträgt sich durch solche Gegenstände."

Das Ghee

"Ghee ist ein Butterfett und gilt im Ayurveda zusammen mit Milch und Honig als Regenerationsmittel. Ich nehme aber auch sehr gern Kokosöl zum Braten, und meistens schmeiße ich noch getrocknete Orangen- oder Zitronenschalen dazu."

Die CD

"Beim Kochen höre ich am liebsten meine eigene CD. Das klingt vielleicht eitel, aber mich beruhigt das. Identität ist für einen Schauspieler immer ein großes Thema, die Frage, wer bin ich. Wenn ich viele Rollen gleichzeitig spiele und ständig woanders bin, kann ich mich selbst verorten, wenn ich die Musik höre, die ich mir selbst erkämpft habe."

Tischtennis mit Günter Wallraff , Schwimmen mit Ulrike Folkerts , Surfen mit Maximilian Brückner : Weitere Folgen von " Meine Leidenschaft " finden Sie hier .

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