Süddeutsche Zeitung

Kaffee:Fantasstisch!?

Lesezeit: 3 min

Im Home-Office wird mehr Kaffee getrunken - aus zunehmend hässlichen Tassen. Ein Versuch, die überironischen Statement-Accessoires zu erklären.

Von Christoph Koopmann

Treffen zwei Wörter aufeinander und verschmelzen zu einem sogenannten Kofferwort, dann heißt das oft nichts Gutes. Man denke nur an die unheilvolle Verbindung von "Britain" und "exit" zum "Brexit". Auf fast genauso - sprachlich wie gesamtgesellschaftlich - Unschönes deutete schon Jahre zuvor der "Teuro" hin. Und, ganz ehrlich, ist die Zusammenführung von "breakfast" und "lunch" zum "Brunch" wirklich wesentlich besser? Klares Jein. Ein jüngeres Beispiel für derlei Wortschöpfungen trendete erst neulich, als allüberall im Netz zu lesen war, man sei angesichts des allermeisten zurzeit so verdammt "mütend" - also gleichermaßen müde wie wütend. Ein beklagenswerter Zustand. Aber es ist nicht so, dass man dagegen nichts tun könnte.

Das Problem der Müdigkeit ist im Kontext des Mütend-Seins eher psychischer Natur, aber da ja Körper und Geist angeblich irgendwie eine Einheit sind, kann man schon auch die physische Müdigkeit zu bekämpfen versuchen, um der geistigen Ermattung Herr zu werden. Offenbar hat dieser Kampf bereits begonnen, denn gerade gab der Deutsche Kaffeeverband bekannt, dass im Pandemiejahr 2020 der Kaffeekonsum um zwei Liter pro Kopf gestiegen sei. Im Schnitt 168 Liter schüttete sich demnach jeder in den Schlund, und zwar zum großen Teil zu Hause, wo auch sonst. Das bewegte den Hauptgeschäftsführer des Verbandes zu der schlüssigen Aussage, Kaffee sei "ein krisenfestes Produkt, das auch in schwierigen Zeiten gern und reichlich genossen wird". Wach macht er auf alle Fälle.

Bleibt Problem zwei, der wütende Part in "mütend". Da Ablenkung und Zerstreuung gerade so gut wie ausschließlich ausfallen müssen, bleibt nur die Erheiterung im Kleinen, um die Wut verfliegen zu lassen. So sieht man also dann und wann morgens Menschen mit müden Augen in Webcams blicken, die zwischen ihren vom vielen Desinfektionsmittel geschundenen Händen Kaffeetassen halten, deren Aufdrucke wenigstens zum Schmunzeln anregen, wenn's schon nix zu lachen gibt.

Auch im eigenen Küchenschrank ist mittlerweile eine kleine Sammlung kurioser Kaffeebecher zusammengekommen. Da steht zum Beispiel einer mit den völlig übertrieben retuschierten Gesichtern von Timo Werner, Thomas Müller und Mario Götze in DFB-Trikots. Wahrscheinlich hatte es einen Grund, dass sie diese Tassen nach der vergangenen Fußballweltmeisterschaft im Supermarkt für 25 Cent das Stück abverkauft haben. Dazu gesellt sich ein Exemplar mit dem Konterfei von Martin Schulz, der als SPD-Vorsitzender und Kanzlerkandidat ähnlich viel Glück hatte wie die Fußballer Müller und Götze am (vorläufigen) Ende ihrer Nationalmannschaftskarrieren. Ebenfalls im Repertoire befinden sich ein buntes Einhorn sowie ein Andenken an den Poppenreuther Adventsmarkt, der, den Becher betrachtet, recht idyllisch zu sein scheint.

Noch mehr solch schrecklich schöner Tassen lassen sich unter anderem auf dem Instagram-Kanal Beauty of Mugs bestaunen, der zwar etwas älter ist als Corona, aber gerade jetzt als Inspirationsquelle dienen kann und unweigerlich zur Frage führt: Was, um alles in der Welt, drucken Menschen bitte auf Kaffeetassen? Auf einem Kännchen mit Blumenmuster wird konsequenterweise für "Leibzch'scher Bliemchengaffee" geworben, auf einem anderen fürs Bezirksamt Mitte von Berlin. Eine Tasse verheißt Lobpreis und Anbetung allen Piloten, wiederum andere den Backstreet Boys oder wenigstens Hannover 96.

An dieser Stelle muss man selbstkritisch gestehen, dass so eine im besten Sinne merkwürdige Tasse sicher auch Ausdruck der eigenen Großstadthipster-Überironisierung von einfach allem ist. Da gehört Schrottigkeit gefeiert und gern auch zur Schau gestellt. Warum sonst hätten modebewusste Herren vor ein paar Jahren damit anfangen sollen, wild gemusterte Strümpfe zu ihren dezenten Slim-Fit-Anzügen zu kombinieren? Nur gut, dass die Lustige-Krawatten-Phase nie richtig in Schwung kam, also, abgesehen von einem waldgrünen Exemplar mit Dackeln drauf, das sich bis heute hält, aber nicht unbedingt einem Großstadthipster zuzuordnen ist. Wie auch immer, als Tassenmotiv wäre es nicht ganz so untragbar.

Vielleicht ist die trashige Tasse als Statement zu verstehen: Seht her, wie wenig ernst ich mich nehme! Natürlich kann man das lächerlich finden. Vielleicht ist es aber auch eine Folge davon, dass man die Kaffeeküche im Büro aus guten Gründen nun schon länger nicht mehr gesehen hat. Sie ist ja eigentlich der Ort, an dem sich die merkwürdigsten Tassen häufen, ob sie mal Werbegeschenke waren oder Überbleibsel des Schrottwichtelns bei der Abteilungsweihnachtsfeier 2004. Es waren die Tassen, die zu Hause niemand haben wollte. Jetzt aber denkt man manchmal ganz wehmütig daran, wie in der Prä-Home-Office-Ära der eine Kollege den Filterkaffee hin und wieder so stark dosiert hat, dass man meinte, Farben nicht mehr nur sehen, sondern auch hören zu können - und man die Totschlägerbrühe eben aus einer ganz fabelhaft trashigen Katzentasse schlürfte, beim Trashtalk mit den anderen.

Erinnert man sich an diese gute, gar nicht allzu alte Zeit bei einem Schluck daheim gebrühten Kaffees und trinkt man diesen Schluck auch noch aus einer Snoopy-Geburtstagstasse, dann ist man jedenfalls gar nicht mehr so mütend. Höchstens voller Sehnsucht.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.5257101
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.