Süddeutsche Zeitung

"Berlin Auslander Memes":Von Umlauten und Florians

Lesezeit: 3 min

Ein beliebter Instagram-Account postet die witzigsten und gemeinsten Beobachtungen über das Leben als Ausländer in Deutschland. Wer steckt dahinter?

Von Jan Stremmel

Der erste Gag kam sozusagen per Post. Danni Diana, die gerade aus Kapstadt nach Berlin gezogen war, wollte sich bei der Techniker Krankenkasse anmelden. Die wirbt im Netz sehr selbstbewusst damit, alles "completely in English" anzubieten. Trotzdem bekam Diana im Februar den "millionsten" Brief mit Kleingedrucktem, und zwar natürlich auf Deutsch. Sie sei so frustriert gewesen, "ich hab ihn einfach zerrissen".

Nun kommt Nancy Pelosi ins Spiel. Die Sprecherin des US-Repräsentantenhauses hatte zufällig ein paar Tage vorher sehr medienwirksam und mit steinerner Miene ein paar Blätter Papier zerrissen, auf denen der Text einer Rede von Donald Trump stand. Das Foto schickte Diana an einen Kumpel, garniert mit dem Satz: "Ich, nachdem ich den sechsten Brief von der TK bekommen habe, den ich nicht verstehe."

So wurde aus dem Frust über die deutsche Bürokratie der erste Witz für einen Instagram-Account, der seither mit Riesenerfolg einen Witz nach dem anderen postet. Er heißt "Berlin Auslander Memes" und hat in wenigen Monaten mehr als 75 000 Follower gesammelt, eine Million Leute schauen sich die Beiträge regelmäßig an. Seither sind Danni Diana, 33, und ihr Kumpel ein bisschen internetberühmt - auch weil bisher niemand wusste, wer eigentlich hinter dieser wirklich sehr lustigen Seite steckt.

Lachen über die Grobheiten des deutschen Alltags

Am Dienstag vergangener Woche sitzen die beiden in einem Café am Schlesischen Tor in Kreuzberg. Danni Diana, von Beruf Texterin, und der Kumpel, ein 35-jähriger Österreicher namens Michael Aniser, führen seit Jahren eine Art Freundschaft, wie es viele jüngere Menschen tun und für die bisher ein richtiges Wort fehlt - vielleicht nennt man es ab sofort "Meme-Beziehung"? Sie kommunizieren jedenfalls fast ausschließlich mit witzigen Bildern, die ihren aktuellen Gemütszustand beschreiben. Bei der Kombination aus Techniker Krankenkasse und Nancy Pelosi habe Michael Aniser, nachdem er aufgehört hatte zu lachen, sofort gewusst: "Das ist so relatable, dafür brauchen wir einen eigenen Account."

"Berlin Auslander Memes" also. Der fehlende Umlaut und der despektierliche Begriff "Ausländer" sind dabei natürlich Absicht. Genau darum geht es: die winzigen Grobheiten des deutschen Alltags auszustellen und darüber zu lachen.

Unter den inzwischen mehr als 300 Beiträgen erkennt man schnell eine Handvoll wiederkehrender Themen. Diana und Aniser nennen es ihre "Evergreens", weil deren zugrunde liegende Beobachtung so viele Leute kennen, dass sie als Meme immer wieder zünden: Etwa die enorme Schwierigkeit für Nicht-Deutsche, einen Umlaut auszusprechen. Oder in einem deutschen Supermarkt auf Anhieb die Eier zu finden. Ein anderes Evergreen wäre die deutsche Leidenschaft für das scharf-exotische Gewürz "Paprika", das für viele Ausländer alles ist, aber ganz sicher nicht scharf oder exotisch. Auch deutschen Hausärzten widmen sie viele Beiträge, genauer gesagt: deren Angewohnheit, unabhängig von der Symptomatik grundsätzlich zu empfehlen, erst mal schön viel Tee zu trinken.

Aniser, von Beruf Musikjournalist, ist quasi der ideale Co-Autor. Als Tiroler ist er zwar nur technisch gesehen Ausländer, kennt aber die absurden Hürden, die Deutschland Neuankömmlingen in den Weg stellt. Er habe in seinen zehn Jahren in Berlin mehr Zeit in der Schlange vor dem Bürgeramt verbracht, als Übersetzer für ausländische Freunde, als in der Schlange vor dem Berghain. (Dieser Vergleich ist natürlich ein weiterer Evergreen.)

Aber neben die albernen Memes über Technotouristen und hippe Mützchen-Träger namens Florian stellen die beiden auch immer wieder beißende Gags über Alltagsrassismus. Dann verlieren sie jedes Mal ein paar Hundert Follower (mutmaßlich beleidigte Deutsche, die sich angesprochen fühlen), gewinnen aber auch Tausende neue. Zuletzt mit einem Video von einem Hundehaufen, in dem ein Deutschlandfähnchen steckt. Darüber haben Diana und Aniser nur ein Wort geschrieben: "biodeutsch". Da war natürlich was los.

Den Vorwurf, gemein oder undankbar zu sein, für was auch immer, bekommen sie häufig. Dabei könne man richtig gute Witze doch nur über etwas machen, das man liebt, findet Aniser. Und Diana sagt, die Seite sei "im Grunde unser Liebesbrief an Berlin".

Man lernt bei "Berlin Auslander Memes" im Übrigen auch als Inländer viel. Zum Beispiel über den Untervermietungswahnsinn, der dazu führt, dass man als zugezogener Ausländer kaum noch ein Zimmer findet, in dem man gesetzeskonform seinen Wohnsitz anmelden kann. Weil nämlich der Hauptmieter meist selbst nur illegaler Untermieter von jemandem ist, der seinen Berliner Mietvertrag nicht aufgeben will. Das Motto der Seite ist deshalb ein Satz, der im Jahr 2020 offenbar in fast jedem WG-Inserat zu finden ist: "Anmeldung not possible".

Diana und Aniser gehen die Sache deutlich akribischer an, als man denkt. Bevor sie etwas posten, überlegen sie, in welchem Kontext der Beitrag an diesem Tag in den Timelines der Follower steht. Und ob das womöglich unangemessen ist. "Reading the room" lautet der zeitgenössische Ausdruck für dieses Beachten der generellen Stimmungslage auf Social Media.

Im Frühsommer etwa hatten sie einen extrem albernen Beitrag vorbereitet, in dem sie - verkürzt gesagt - einen Dürüm, den typischen Berliner Döner-Wrap, mit einem im Netz viel beworbenen Männervibrator verglichen. Dann starb George Floyd. Sie stellten den Dürüm also zurück und posteten erst mal zwei Wochen lang ernste Memes zum Thema Rassismus. Ein paar Wochen später war die Stimmung dann anders. Und die Zeit gekommen für einen "dummen Pimmelwitz".

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